Nach 97 unter beißendem Flutlicht gespielten Minuten konnte der VfL Bochum am neunten Spieltag der zweiten Bundesliga endlich den zweiten Heimsieg einfahren. Am Ende eines hart umkämpften Kicks gegen die alte Dame aus Berlin stand ein 3:2 auf dem Tableau. Eine Stadt atmet durch. Der neue Coach konnte mittels erster Impulse Pro-Argumente für seine Arbeit präsentieren und ein 18-jähriger Youngster schrieb VfL-Geschichte. Trotz altbekannter spielerischer Defizite und der traditionell präsenten Angst, ein gutes Zwischenergebnis aus den Händen gleiten zu lassen, wurden drei Zähler auf das dünn aufgestellte Konto eingezahlt. Ein Co-Kommentar von Tobias und Lennart.
Der Samstagabend bot exakt die Atmosphäre, die es einem wieder und wieder vergegenwärtigt, warum es schön ist, ins Ruhrstadion zu gehen. Frischkalte neun Grad, Flutlichtschein über der Castroper Straße, geliebte Menschen bei einem gezapften Fiege am Kirmesplatz treffen und letztendlich die Stufen ins Wohnzimmer hochgehen, um den saftig grün scheinenden Rasen zu riechen.
Während einige erstmalig zur Winterjacke griffen, schien die Temperatur unseren neuen Trainer Uwe Rösler wenig zu beeindrucken. Mit frischpoliert nassrasierter Nichthaarpracht und strammen Waden lief er schon vor Anpfiff in kurzer VfL-Buchse und Vereinssweater auf die Ostkurve zu und heizte die Atmosphäre an. Ein klares Statement hinsichtlich seiner Ankündigungen auf den ersten Pressekonferenzen, im Team und Gesamtumfeld auf proaktive Kommunikation bauen zu wollen, um wieder eine Einheit zu schaffen.
Back to the Roots (Reis)
Taktisch gab es nun auch in Liga zwei die Rückbesinnung auf die Spielprinzipien, die insbesondere unter Thomas Reis den VfL in der Bundesliga auszeichneten: Kein Risiko im Spielaufbau, in dem mit langen Bällen über die Außen angegriffen wird. Durch’s Zentrum geht es nur nach Ballgewinnen, um schnellstmöglich zum gegnerischen Tor zu kommen.
„Für die Rösler-Dreierkette braucht man bestimmte Typen. Es könnte daher am Wochenende auch eine Viererkette werden.“
Uwe Rösler in der Spielvorbereitung
Wir erwarteten in unserem Vorbericht noch die Fortsetzung der Fünferkette, Uwe Rösler ließ jedoch seinen Worten Taten folgen und setzte auf eine ‚4-1-4-1‘ Grundformation. Matus Bero musste in Abwesenheit von Shootingstar Cajetan Lenz den Sechser geben. Kjell Wätjen durfte auf dem rechten Flügel ran. Hertha BSC startete wie gewohnt im ‚4-2-3-1‘, bei dem gegen den Ball entweder Fabian Reese von links oder Jon Thorsteinsson von der Zehn in ein ‚4-4-2‘ vorrückten. So gab es eine 1:1 Zuordnung im Mittelfeld mit Überzahl unserer Verteidiger in der letzten Linie. Ebenfalls eine durch Thomas Reis bekannte Idee.
Berlin gab durch das Vorschieben Räume im Mittelfeld frei, die Bochum durch den Fokus auf lange Bälle über die Flügel und Konter so gut wie nie anspielte. So blieben die Chip-Bälle von Philipp Strompf die Highlights im Spielaufbau.
Die Tore fielen jeweils nach Ballgewinnen und Kontern. Zwar war das Timing gegen den Ball in den Zweikämpfen oft schlecht – entweder waren unsere Jungs zu passiv oder zu wild. Grad Bero tat sich mit der Position als Balance haltendem Sechser schwer. Die Berliner machten jedoch zum Glück in der ersten Hälfte sehr wenig daraus. Auch da die Leidenschaft stimmte und sich unsere Verteidiger für keine Grätsche zu schade waren.
Kurz vor dem 1:0 hatte unser VfL eine gute Phase und kam nach den anfänglichen Problemen immer besser ins Spiel. Danach ließ man sich jedoch komplett vorführen. Das zweite Tor fiel quasi aus dem Nichts durch eine geniale individuelle Leistung von Francis Onyeka.
In der zweiten Hälfte zeigte Berlin nun die Effizienz, die in der ersten Hälfte noch fehlte. Eigentlich waren Bero und Mats Pannewig als Doppelsechs im ‚4-2-3-1/4-4-2‘, auf das im Laufe der zweiten Hälfte umgestellt wurde, besser im Spiel. Reese spielte nun erst zentraler, wechselte dann die Seite. Als Unterstützung für ihn schob Berlin den linken Außenverteidiger Karbownik deutlich höher.
Rösler wechselte zunächst positionsgetreu. Farid Alfa-Ruprecht kam auf dem linken Flügel für Gerrit Holtmann, Felix Passlack ersetzte Kjell Wätjen auf rechts. Letzterer schob sogar zunächst etwas höher als Wätjen. Erst mit den Einwechslungen von Mathis Clairicia und Noah Loosli gab es die Umstellung auf ‚5-3-2‘, nun mit Passlack links in der Fünferkette und Claricia neben Alfa-Ruprecht im Sturm.
In dieser Formation konnte der VfL die Berliner vom Tor fernhalten und den Sieg über die Zeit retten. Es gab nur noch eine Standardsituation, die unser Keeper Timo Horn mit einer Wahnsinnsparade entschärfte. Hier ließ Bochum im Zentrum eine drei gegen zwei Überzahl der Berliner zu. Glück gehabt! Es liegt noch etwas Arbeit vor unserem Standardcoach Alessandro Riedle.
Individuelle Glanzmomente als relevantes Puzzleteil
In Anbetracht des gesamten Spielverlaufs, der statistisch stärkeren Spielanteile zugunsten der Hertha und des beinah verstolperten 3:0 Vorsprungs sollte die Kirche im Stiepel Dorf gelassen werden. Die spielerischen Defizite, die uns tabellarisch in den Keller gebracht haben, waren auch am Samstag wieder zu sehen. Unkonzentrierte Ballverluste und Fehlpässe, teilweise schlechtes Timing im Spiel gegen den Ball, magere Ideen im Aufbauspiel, passives (Re-)agieren einzelner Akteure und des Kollektivs – all das gab es.
Was es aber auch gab: Schnelles Konterspiel nach Ballgewinn, welches – inklusive offensivem Flügelspiel – für Angriffs- und Torgefahr sorgte. Einen mehrfach glänzend parierenden Timo Horn, der mit seinen Aktionen dafür sorgte, dass der Gegner ein Tor weniger schoss. Einen sich unermüdlich und temporeich in die Zweikämpfe hauenden Leandro Morgalla, der gefährliche Angriffe der Hertha abwehrte und damit die Zuschauerränge anzündete. Einen Bero, der als Kapitän das Bemühen zeigte, die Mannschaft aufzubauen und somit taktgebenden Input einzubringen.
Und besonders: Einen sich in Topform befindenden Francis Onyeka. Auch im VfL-Dress zauberte er auf der steil nach oben deutenden Formkurve, die er sich in den Vorwochen bereits im Nationaltrikot der deutschen U19 erarbeitete. Das von ihm erzielte 2:0 war ein spielerischer Leckerbissen, den wir im Ruhrstadion lange nicht mehr erleben durften. Mit Zielstrebigkeit, Geduld und technischer Raffinesse tankte er sich in den Berliner Strafraum, legte sich den Ball zurecht, ließ Toni Leistner in aller Ruhe aussteigen und schloss präzise in das kurze Ecke ab – ein saustarker Moment.
Kampfgeist und Motivation als Handschrift Röslers
In erster Linie scheint es Rösler in seiner kurzen Amtszeit gelungen zu sein, den Jungs ein Stück mehr des dringend benötigten und in Bochum geliebten Kampfgeist und Willen eingehaucht zu haben. Viele Spieler neigten endlich wieder dazu, einen Schritt mehr als notwendig zu gehen. Gallig und ekelhaft ging man in die Zweikämpfe um den Gästen zu zeigen, dass die Entfaltung ihrer Kompetenzen an der Castroper Straße nicht erwünscht ist. Die Reaktionen von den Rängen erfolgten unmittelbar. Mit Jubelschreien wurden gewonnene Tacklings honoriert, das Stadion stand zwischenzeitlich im Kollektiv, die Ostkurve feuerte 97 Minuten durch – der Einsatz des Teams schwappte schnell auf die Tribünen über.

Rösler selbst zeigte sich als zwölfter Mann und präsenter Rückhalt. Wild und agil gestikulierend, laut kommunizierend, aufbauend, anfeuernd und fordernd beteiligte er sich an der Seitenlinie über die gesamte Spielzeit am Spiel seines Teams. Nicht zuletzt rannte er nach Abpfiff erneut mit erhobener Faust auf die Ostkurve zu und badete in euphorisierten „Uwe! Uwe! Uwe!“ – Rufen, um die Truppe daraufhin zusammen zu trommeln und ein Mannschaftsfoto vor den Fans zu machen.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung
Diese kleinen und auf menschlicher Ebene wahnsinnig wertvollen Nuancen könnten die Chance bieten, die Mannschaft zu packen, zu stärken und sich auf den Weg zu begeben, zu einer stärkeren Form zurück zu finden. Wieder eine Einheit zu werden, in der jeder für den Nächsten kämpft und zeigt, dass es ihm etwas bedeutet, unser Trikot auf dem Rasen zu tragen und für den Verein im Einsatz zu sein. Die Jungs wieder mental dorthin zu bekommen, sich selbst und vorhandene Kompetenzen und Stärken zu fühlen und einzubringen.
Der Sieg gegen die Hertha ist eine Möglichkeit, den sich eng um die Moral und den Selbstwert geschlungenen Knoten zu lockern. Drei Tore geben ein Gefühl der Selbstwirksamkeit – dass endlich mal wieder etwas geklappt hat. Dass das grundlegende Potenzial vorhanden ist. Wünschen wir den Jungs und Uwe, dass er dies weiter verfeinern und ausarbeiten kann.
Am kommenden Spieltag geht es in den Norden zu Holstein Kiel. Die Kieler gewannen in der laufenden Spielzeit erst ein Heimspiel und befinden sich in schwankender Form. So kommt es zum Aufeinandertreffen der Absteiger aus der ersten Bundesliga aus der Vorsaison. Mit ähnlicher Moral und Motivation des aktuellen Spieltags, einem weiter gut aufgelegten Francis, einem wilden Uwe an der Seitenlinie und einem lautstark gefüllten Bochumer Gästeblock könnte etwas drin sein.
Glück auf! Uwe! Es gibt nur eine Sache, die uns am Leben hält!
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