Der VfL Bochum verliert 1-2 beim FC Schalke 04. Eine teilweise ordentliche Leistung trifft auf fehlenden Mut und einen nicht kompletten Kader. Man bringt sich selber um den verdienten Lohn gegen schwache Schalker und sorgt so für Ernüchterung im Umfeld. Eine Analyse von Tobias und Claudio.
Eigentlich war alles angerichtet für einen perfekten Derby-Samstag. Angefangen mit dem Spiel der Zweiten gegen die Vertretung von Borussia Dortmund. Danach geschlossen in Bussen in die 13 km entfernte Arena auf Schalke für das Zweitligaduell. Oberflächlich war es das auch – doch spätestens seit dem Pokalspiel am vergangenen Wochenende und dem Weiterkommen mit „Ach und Krach“ waren die Bauchschmerzen bei vielen Anhängern im Umfeld des VfL Bochum deutlich wahrnehmbarer geworden.
War man am Anfang der Transferperiode positiv überrascht über das schnelle Tempo der Verpflichtungen, wunderte man sich nun umso mehr über Aussagen, dass die finanzielle Situation eigentlich kaum noch Spielraum für weitere Verpflichtungen erlaube – und das, obwohl Baustellen im Kader selbst für den Laien offensichtlich sind. Nicht falsch verstehen – kaum jemand haut mit der Keule drauf, in Teilen haben wir einen sehr ordentlichen Kader. Innenverteidigung und zentrales Mittelfeld können sich sehen lassen. Nur ziehen sich gewisse Symptomatiken nun schon seit über einem Jahr durch. Schmerzliche Erinnerungen kommen hoch an die letzte Spielzeit. Fehlendes Tempo. Fehlende Kreativität. Die ersten Spiele der Saison zeigten ein Bild, dass das Trainer-Team um Dieter Hecking dafür mit dem vorhandenen Spielermaterial keine Lösungen gefunden hat. Durch den Verkauf von Broschinski wurde die Komponente Tempo sogar noch geschwächt, ohne bisher für Ersatz zu sorgen. Wie wollte man also das Spiel auf Schalke angehen?
Unser Coach Dieter Hecking ließ sich gegen die Knappen erneut etwas einfallen. Mit Felix Passlack spielte der dritte Rechtsverteidiger im dritten Spiel. Philipp Strompf kehrte nach Verletzung auf den Platz neben Kevin Vogt und Leandro Morgalla in der Abwehrreihe zurück. Entgegen der Ankündigungen auf der Pressekonferenz, gab auch Neuzugang Kjell Wätjen sein Startelfdebüt. Mats Pannewig musste dafür (vorerst) auf der Bank Platz nehmen. Gerrit Holtmann kam für Mathis Clairicia ins Spiel.
Aggressives Herausrücken und flexible Formationen gegen den Ball
Wie bereits gegen den SV Darmstadt versuchte Dieter Hecking es mit einem Hybridsystem. Gegen den Ball gab es ein 5-1-3-1, dass jedoch durch sehr proaktives Herausrücken der Abwehrreihe immer wieder auch in 4-2-3-1 oder 4-1-4-1 Staffelungen umgeformt wurde. Durch die enge Besetzung der offensiven Flügel, konnte die massiv besetzte Schalker Zentrale im 3-4-2-1 egalisiert werden. Das Herausrücken der Abwehrspieler half Cajetan Lenz, die großen Räume vor der letzten Linie im Griff zu halten.
Ein solches Herausrücken gab es auch aus der offensiven Dreierreihe. Entweder stieß Wätjen aus der Zehnerposition neben Hofmann vor, oder Bero und Holtmann liefen von Außen nach innen an, um hektische Pässe ins dicht besetzte Zentrum zu provozieren. So konnte der VfL in punkto aggressivem Pressing durchaus mit den in dieser Saison dafür bekannten Schalkern mithalten und die Knappen in enge Situationen und Ballverluste treiben.
Kein Risiko mit dem Ball
Im Podcast hatten wir uns gefragt, ob Bochum gegen das Schalker Pressing ebenfalls versuchen wird flach Herauszuspielen oder ob sie lieber auf Nummer Sicher gehen. Die Aufstellung von Lenz deutete auf einen ambitionierten Plan hin. Auf dem Platz gab es dann jedoch eher die Sicherheitsvariante zu sehen. Der erste Ball ging zwar oft noch zu den Innenverteidigern, um das Schalker Pressing zu aktivieren. Unter Druck wurde dann jedoch schnell der lange Ball auf Hofmann gesucht, der diese Bälle behaupten und dafür sorgen sollte, dass die Tiefenläufen der offensiven Dreierreihe bedient werden können. Mit Holtmann, Wätjen und Matus Bero war diese dafür perfekt besetzt. Grad der Neuzugang aus Dortmund tat sich erneut mit guten Läufen an die Strafraumecken hervor. Die Belohung für die engagierte Leistung gab es in der 25. Minute, als der VAR das Handspiel von Kurucay im Strafraum als letzte Rettung vor dem einlaufendem Hofmann erkannte und auf Elfmeter entschied. Leider konnte unsere Mannschaft in Person von Kevin Vogt das Geschenk nicht annehmen.
In der ersten Halbzeit war Bochums Spielidee klar zu erkennen. Sie haben zwei, drei Bälle vorbereitet und dann einen langen Ball auf Philipp Hofmann gespielt. Das hat er super gemacht, wie er die Bälle verteilt. Dadurch hat Bochum viel Ballbesitz gewonnen und unser Pressing überspielt. Das war schwierig zu verteidigen. Trotzdem haben wir aus dem Spiel nicht viel zugelassen.
Miron Muslic (Cheftrainer FC Schalke 04)
Hecking geht ins Risiko und wird belohnt
Nach der Verletzung von Strompf bei einer Rettungsaktion in der 34. Minute, lief sich erst Innenverteidiger Colin Kleine-Bekel warm und wurde sogar zur Linie gerufen. Auf den letzten Drücker entschied sich unser Chefcoach dann doch dazu, mit Mats Pannewig einen offensiven Mittelfeldspieler für den Verteidiger zu bringen. Maxi Wittek ging nach innen und Gerrit Holtmann nahm die Position als Schienenspieler ein. Pannewig und Wätjen wechselten sich von nun an auf der linken und zentralen Offensivposition ab.
Da Passlack ebenfalls oft hoch vorrückte, waren nun beide Seiten offensiv doppelt besetzt. Der VfL konnte sich immer wieder über die Flügel vorarbeiten und dort die Bälle sichern. Das perfekte Beispiel war der Führungstreffer in der 65. Minute, bei dem der Ball über Morgalla, Wätjen, Bero, Lenz, Hofmann, Pannewig und Holtmann einmal die komplette Offensivreihe von rechts nach links durchlief. Insbesondere den sehr kluge Pass von Lenz auf Hofmann ist hier hervorzuheben. Jeder andere Bochumer Spieler hätte diesen Ball wahrscheinlich zentral aus 25 m in den Himmel gejagt, doch unser Youngster spielt einen perfekt gewichteten Pass, der die komplette Schalker Abwehr aushebelt.
Angst essen Siege auf
Als es in der 70. Minute dann auch bei Holtmann nicht mehr weiter geht, revidiert Hecking seine Entscheidung aus der ersten Hälfte, bringt nun doch Kleine-Bekel und schiebt Wittek zurück auf die Schiene. Diese Entscheidung verstehe ich persönlich überhaupt nicht. Wittek machte als linker Halbverteidiger sein bisher bestes Spiel, indem er sein Tempo gehen Sylla und Antwi-Adjei einbrachte, viele Bälle abfing (mit drei Interceptions der beste Bochumer Spieler in dieser Disziplin, dazu 2 Clearances) und gleichzeitig das Offensivspiel ankurbelte (mit 36 Pässen, davon 1 Key Pass, bester hinter Kevin Vogt). Dazu fehlte mit Hofmann nun der zentrale Ballverteiler. Das Spiel kippte sofort.
Das 1:1 nach einem abgefälschten Schuss im Anschluss an eine Ecke kann noch als unglücklich bezeichnet werden. Angedeutet hatte es sich aber schon, da der Rückraum bei Ecken das ganze Spiel über sehr offen war. Sissoko als einziger Spieler dort wirkte zudem sehr unorientiert. Bei so einer Verteidigungsstrategie hätte er sein Umfeld vorher komplett scannen müssen, um sofort zu wissen, was ihn erwartet, wenn der Ball herausgeköpft wird. So konnte der Schalker Neuzugang Finn Porath in Ruhe Maß nehmen und abschließen.
Der zweite Treffer hatte sich ebenfalls angedeutet. Schalke versuchte in Person von Soufiane El-Faouzi bei Ballgewinnen im Zentrum immer direkt tief zu spielen. Entsprechend hätte sich Vogt ebenfalls sofort fallen lassen müssen. So hatte er keine Chance auf den Ball und Kleine-Bekel musste nach einem sehr langen Sprint ohne Stabilität in einen entscheidenden Zweikampf. Ich frage mich auch warum Morgalla hier so hoch spielte und nur entspannt zurücktrabte. Sein Tempo wäre hier Gold wert gewesen.
So verschenkt der VfL am Ende die Punkte und kann sich von der Leistungssteigerung gegenüber der Vorwochen nichts kaufen. Schade, da war deutlich mehr drin.
Wir hatten das Spiel bis zum 1:1 im Griff und waren die bessere Mannschaft. Wir müssen das zweite Tor machen, dann ist das Spiel zu Ende. Stattdessen bekommen wir ein Ping-Pong-Tor, das Schalke wieder ins Spiel bringt und das Stadion wird laut. Da müssen wir cleverer sein und das Spiel unterbrechen, um wenigstens einen Punkt mitzunehmen. Es ist schwer, aber wir müssen es akzeptieren. Wir haben heute unser bisher bestes Spiel gemacht. Wenn wir diesen Weg weitergehen, bin ich mir sicher, dass wir Spiele gewinnen werden.
Philipp Hofmann
Was bleibt sind Fragezeichen. Fragezeichen, wie diese Saison verlaufen wird. Wo die Reise hingeht. Als Absteiger muss es der Anspruch sein, oben mitzuspielen. Diese Erwartungshaltung wurde durch Aussagen der Führung, dass man mit einem Top-Etat in die Saison gehen wird, untermauert.
Aktuell gibt es allerdings einen Realitäts-Check. Die Idee, die Dieter Hecking mit Kevin Vogt hatte, scheint bisher so nicht aufzugehen. Viele Ressourcen wurden für diesen fest eingeplanten Führungsspieler gebunden.
Die Verletzung von Sissoko ist sowohl sportlich als auch finanziell für den Verein vollends ein Desaster. Mit dem mittleren einstelligen Millionenbetrag wird man fest gerechnet haben. Das wird dem Verein in Puncto Spielraum für weitere Transfers aktuell die Luft abschnüren.
Eine Unwucht im Kader ist zu erkennen. Dazu kommen viele Spieler, die für Zweitliga-Verhältnisse sehr ordentlich verdienen dürften, aber nicht die entsprechende Leistung bringen. Paart man das noch mit dem Verletzungs-Pech von potentiellen Stammspielern wie Sissoko, Kwarteng und Miyoshi komplettiert sich das Bild. Im Englischen sagt man „Shit hits the fan“. Das passiert gerade.
Aktuell ist es noch 5 vor 12. Wir haben erst drei Spieltage durch. Das Transferfenster ist noch auf. Und es gibt vereinzelt Lichtblicke wie einen Lenz, der bisher einen sehr starken Eindruck macht. Allerdings muss das Ruder jetzt ganz fix rumgerissen werden. Ansonsten kippt die Stimmung im Umfeld von extrem wohlwollender Unterstützung ganz schnell hin zu einem eiskalten Bochumer Herbst schon im September.
Was ist nun nötig? Die Ergänzung des Kaders. Ein Dieter Hecking, der seine Spielidee für Liga 2 nochmal adjustiert. Und eine Portion Glück mit weniger Verletzungen und einem Momentum auf dem Platz. Doch das musst du im Zweifel erzwingen.
Nächste Woche entscheidet sich gegen Münster, wohin die Reise geht. Kompletter Fehlstart oder doch nur holpriger Beginn in Liga 2.
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