Am Samstagnachmittag um 16:00 Uhr hatte ich die Schläfe hinunter wandernde Nackenschmerzen und stressbedingte Ansätze einer Druck-Migräne. Lag es am Wetter? War die Nacht zu kurz? Natürlich nicht – unsere Jungs hatten im DFB Pokal gespielt. Letztendlich reichte es für ein positives Schlussergebnis und ein Weiterkommen. Ansonsten bot der über weite Strecken fragwürdige Auftritt beim BFC Dynamo wenig Gründe, Optimismus zu versprühen. Ein Kommentar.
Im Anschluss an die gute zweite Halbzeit unseres letzten Auftritts in der zweiten Bundesliga ging ich mit Zuversicht in das Pokalspiel. Diese wurde sogar bestärkt, als ersichtlich wurde, dass unser Coach den Entschluss gefasst zu haben schien, auf einen offensiveren Fußball-Ansatz zu bauen. Die folgenden 140 Minuten waren dann jedoch von all dem geprägt, was ich als jahrelang Liebender unseres VfL schon kenne.
Von Schweißausbrüchen, Flüchen, wilden – teils aggressiven – Chats in WhatsApp-Gruppen und dem Hinterfragen der ‚Spielerkünste‘ der Mannschaft. Aber auch von Erleichterungsschreien, dem „endlich mal wieder in Runde Zwei“ Gedanken und der von einem Grinsen begleiteten Selbstreflexion: „Hätteste ja auch ahnen können“.
Aber mal all das Emotionale und Moralische beiseite: So verbissen und holprig gegen einen Regionalligisten auftreten, der Teile des Spiels zu zehnt und schlussendlich sogar zu Neunt absolviert? Tut das Not?
System und Personal
Dieter Hecking schien den Entschluss gefasst zu haben, an dem ‚4-3-3‘ – der Formation, die es vergangene Woche ermöglichte, den SV Elversberg in die Knie zu zwingen – festzuhalten. Auf insgesamt fünf Positionen erfolgten personelle Wechsel.
Philipp Hofmann, Gerrit Holtmann, Koji Myoshi, Cajetan Lenz und Noah Loosli durften starten. Mathis Clairicia, Mats Pannewig, Philipp Strompf, Leandro Morgalla und Moritz Broschinski befanden sich nicht auf dem Platz. Zuletzt Genannter nicht einmal mehr im Verein.
Somit agierte der VfL von Anpfiff an mit der derzeit auf Pressekonferenzen für Wind sorgenden Viererkette, einem tiefstehenden ‚Sechser‘, zwei ‚Achtern‘, zwei besetzten offensiven Flügeln und einem Stoßstürmer.
Die Innenverteidigung vor Torhüter Timo Horn bildeten Loosli und Kevin Vogt. Maximilian Wittek und Kacper Koscierski besetzten die Außenverteidigerpositionen. Lenz verdichtete das zentral defensive Mittelfeld. Ibrahima Sissoko und Matus Bero beackerten die Zwischenräume zwischen Abwehr und Angriff. Holtmann und Miyoshi waren für die vorderen Außenbahnen zuständig, während Hofmann auf dem Pinn stand.
Feldüberlegenheit ohne zwingend kreierte Gefahr in Abschnitt eins
Der erste Aufreger erfolgte in Minute vier. Nachdem Hofmann im Strafraum auf Sissoko ablegte, wurde dieser von Moritz Polte zu Fall gebracht. Der Luftstoß in die Pfeife, der uns einen berechtigten Elfmeter eingebracht hätte, erfolgte nicht. Schiedsrichter Felix Wagner ließ die Partie weiter laufen.
Unterbrochen wurde sie dennoch, da Sissoko auf die Schulter fiel und unter Schmerzen und Einsatz einer Trage ausgewechselt werden musste. Mats Pannewig übernahm für ihn.
Mit Ausnahme eines Flugkopfballs von Pannewig und einem frei stehenden Abschluss, den Hofmann im eins gegen eins gegen Dynamos Torhüter Nicolas Ortegel flach links am Tor vorbei legte, konnten weder die Bochumer, noch die Berliner nennenswerte Chancen auf den Rasen zaubern.
Chancen, Tore und ein Platzverweis in Abschnitt Zwei
19 Sekunden nach Wiederanpfiff konnte sich unser VfL in die Allzeitgeschichtsbücher der deutschen Fußballhistorie eintragen. Noch nie hatte ein Team in der Aufzeichnung des DFB Pokals so schnell zu Beginn einer zweiten Halbzeit ein Gegentor schlucken müssen wie wir an diesem Nachmittag.
Jan Shcherbakovsi zog von rechts ungedeckt in die Mitte. Sein strammer Abschluss aus 25 Metern überraschte Timo Horn, schlug im kurzen Eck ein und brachte die Gastgeber in Führung.
Auf den ertraglosen Gegenangriff von Miyoshi folgte lange Zeit nichts. Bis zur 71. Minute. Dort war es wieder Miyoshi, der (mehr oder weniger) zum Torabschluss aus kurzer Distanz kam. Wäre da nicht John Liebelt gewesen, der mittels einer Grätsche von hinten offensichtlich sein linkes Sprunggelenk anstelle des Leders traf und ihn abräumte. Die notwendige Entscheidung auf einen Strafstoß durch den Unparteiischen blieb erneut aus.
Neun Minuten später sah Larry-Nana Oellers die rote Karte. Kurz hinter der Mittellinie in der eigenen Hälfte hielt er den zuvor eingewechselten Samuel Bamba als letzter Mann – was Wagner als Notbremse wertete.
Noah Loosli war derjenige, der zählbaren Nutzen aus der Überzahl erntete. In Minute 85 drückte er die von Lenz nach innen bugsierte Kugel über die Linie und erzielte den Ausgleich.
Vogelwildes Treiben in der Verlängerung
Aufgrund des Unentschiedens nach 90 Minuten durften/mussten wir eine weitere halbe Stunde ‚genießen‘. Nach vier laufenden Minuten erfolgte das kaum Vorstellbare: Referee Wagner entschied im Anschluss an ein Foul an Hofmann auf Strafstoß für den VfL!
Kapitän Bero übernahm. Nach kurzem Anlauf streichelte er einen Abschluss mit der Schärfe einer zu lang auf der Aramark-Theke stehenden Dönninghaus-Currywurst in die linke halbhohe Ecke. Ortegel roch den Braten (oder die Wurst) und parierte.
Rufat Dadashov flog wenig später als zweiter Berliner mit Rot vom Platz, nachdem er seinen Ellbogen unnötig im Gesicht von Lenz platzierte.
Kurz darauf brachte Bamba unsere Jungs auf Vorlage eines von Keeper Ortegel abprallenden Balls, den er zentral unter die Latte schmiergelte, in Führung.
In den Folgeminuten gelang es dem VfL semi überzeugend, die neun, zunehmend an der Konditionsgrenze pumpenden, Regionalligisten mit spielerischer Klasse nennenswert in Gefahr zu bringen.
Quasi mit dem Schlusspfiff sorgte Matus Bero für den DWM (Anmerkung der Redaktion: „Das-Wars-Moment“). Kjell Wätjen, ebenfalls eingewechselt, tankte sich über die linke Seite nach vorne, legte den Ball in die Mitte und unser Kapitän musste nur noch einschieben. 1:3 – Deckel drauf.
Ein durch und durch kurioses Spielerlebnis
Der Auswärtssieg in Höhe von 1:3. Das Einziehen in die zweite Pokalrunde. 10:28 Torschüsse pro VfL. 22 erspielte Flanken, 69% Ballbesitz und ein ‚xGoals‘-Wert von 4,30. Drei aus kurzer Distanz solide verwandelte für die Entscheidung sorgende Spielzüge. Gute Sprints und nach innen geschlagene Dribbelhaken von Flügelwühler Samuel Bamba. Klingt alles ganz schön.

Aber auch: Bei allem Respekt – ein Spiel auf Augenhöhe gegen den personell (doppelt) dezimierten 14. der Regionalliga Nordost. Ein (hoffentlich nicht schmerzlich langer) Ausfall Ibrahima Sissokos. Fehlpässe über kürzeste Distanz von Samuel Bamba, bei denen sich mir die Fußnägel hoch rollten. Zahlreiche liegen gelassene Chancen – beziehungsweise zahlreiche Anläufe im Mittelfeld, aus denen erst gar nichts Gefährliches resultierte.
Insgesamt hatte das Spiel reichlich Entertainment zu bieten. Als unmittelbar subjektiv beteiligter Anhänger des vermeintlichen Favoriten hätte ich allerdings gerne auf Spannung verzichtet und stattdessen eine kreativere Souveränität des VfL genossen.
Referee Felix Wagner im Fokus
Aufgrund des nicht teilnehmenden VAR (dessen Fehlen ich grundsätzlich nicht bemängeln möchte) waren Wagner und sein Team im Spiel auf sich allein gestellt. So ungern ich einen Schiedsrichter als eine aktiv auf den Spielverlauf Einfluss nehmende Figur benenne – diesmal komme ich nicht drum herum.
Die beiden nicht gegebenen Elfmeter, die uns zugestanden hätten, erweisen sich meines Erachtens nach als Fehlentscheidungen des Spielleiters
Eben jener VAR hätte sich vermutlich auch in Minute 34 eingemischt. Und darauf hingewiesen, die gelbe Karte gegen Can Karatas, der Wittek brachial von hinten in die Beine fuhr und eine Behandlung des Schienenspielers provozierte, nochmal hinsichtlich eines Upgrades in den dunkleren Bereich der Farbpalette zu überprüfen.
Auch das als Notbremse bewertete und mit dem Platzverweis geahndete Halten von Oellers war eine harte und zumindest zweifelhafte Auslegung des Regelwerks. Zwar spielte uns diese letztendlich in die Karten, stellte aber einen erheblichen externen Eingriff in den Spielverlauf dar.
Dass die „Hoyzer“-Rufe jedoch ausgerechnet aus den Blöcken des Anhangs der Berliner hallten, erstaunte mich dann doch. Zumal der BFC aufgrund des beherzten Agierens der eigenen Defensive zwei potentiell spielentscheidende Pfiffe zu eigenen Ungunsten hätte akzeptieren müssen.
Nunja – vielleicht sorgt die zwischen dem Rasen und Zuschauerrang liegende Laufbahn dafür, dass man etwas weit vom tatsächlichen Geschehen entfernt ist.
Was nimmt man mit?
Die Frage werfe ich gern in den Raum, um Öl in das Feuer der eh meist wild geteilten Meinungen zur aktuellen Situation beim VfL Bochum zu gießen. So bleibt ein breiter Nährboden für weitere Diskussionen in den kommenden Tagen auf der Arbeit, im Bekanntenkreis oder sonstwo.
Ich selbst kann sie mir – Stand jetzt – nicht wirklich beantworten. Während ich unter der Woche noch davon ausging, dass Heckings Team nicht straucheln wird, weiß ich aktuell überhaupt nicht, wovon ich perspektivisch ausgehen soll.
Meines Erachtens nach zeigte das Spiel im Sportforum Schönhausen, dass wir uns weiterhin auf einem Boden bewegen, der den Autobahnen in und um Bochum gleicht – voller Baustellen, Hektik und ambivalent passiv oder wild agierender Personen.
So gern ich ansonsten für Optimismus und „so ist es halt beim VfL“ plädiere – so sehr bin ich aktuell der Meinung, dass in der nächsten Woche akribisch (auf-)gearbeitet werden muss, um am kommenden Ligaspieltag unter Gelsenkirchener Flutlicht einem unschönen Erlebnis zu entgehen.
Wir haben die erste Runde überstanden, das ist die Hauptsache. Dennoch sollte das – im Anschluss an den Auftritt in Darmstadt – zweite haarige Auswärtsspiel in Folge engmaschig analysiert werden.
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