Keine schöne Begegnung aber immerhin ein Dreier. Was wohl des Öfteren der Gedanke Wahrnehmender einer wild durchzechten Nacht oder Besuchender eines einschlägigen Milieuclubs ist, deckt sich mit dem Feedback der Fans der Jungs von der Castroper Straße nach dem zweiten Spieltag. Der VfL Bochum bezwang den SV Elversberg mit 2:0. Nach langem K(r)ampf in Überzahl konnte der von Dieter Hecking angeleitete Trupp die ersten Punkte auf dem neuen (altbekannten) Terrain der zweiten Bundesliga einfahren. Ein Rückblick.
Die perfekte Atmosphäre für den Saisonauftakt war gegeben. Pralle Sonntagssonne bei blauem Himmel, freudige Gespräche in Anbetracht des ersten Wiedersehens nach der Sommerpause und die altbekannten, von frisch gezapftem Fiege Pils begleiteten Philosophien darüber, was nach Anpfiff auf dem Rasen geschehen wird. Fanden die negativ drückenden Gefühlsregungen vergangene Woche nach dem verpatzten Saisonauftakt noch eher im Darm statt, so war dennoch spürbar, dass das an der Castroper Straße versammelte Kollektiv große Lust auf den ersten Kick im geliebten Ruhrstadion hatte.
Identisches System mit teils verändertem Personal
Dieter Hecking schickte die gleiche Formation an die Startlinie, die im vorangehenden Auswärtsspiel eine unerwartet deftige Klatsche kassierte. Ein ‚5-3-2/3-5-2‘ sollte es richten. Kacper Koscierski durfte sein Debut auf Profiebene feiern, indem er anstelle von Romario Rösch auf der Position des rechten Außenverteidigers in die Startelf rutschte. Mathis Claricia besetzte die Position des zweiten Stürmers neben Moritz Broschinski, wodurch Philipp Hofmann auf die Bank ausweichen musste.
Während der Pressekonferenz vor dem Spiel ließ Hecking durchblicken, dass ihm das mediale, auf den vergeigten Einstand erfolgende Feedback nicht passte. Seiner Ansicht nach verfüge die Mannschaft über ausreichend Flexibilität und individuelle Klasse, um zu bespielenden Gegnern adäquat entgegen zu treten. So ließ er sich in seiner ‚DI‘ nicht beirren und vertraute auf das von ihm und seinem Trainerteam formierte System. In der Überzeugung, den Relegationsteilnehmer der Vorsaison aus Elversberg bestmöglich zu bespielen.
Kartenhagel und Bochumer Ideenlosigkeit im Fokus der ersten Halbzeit
Lukas Benen, Schiedsrichter des Spiels, griff sich in den ersten 45 Minuten bereits sechs Mal in die Kartentaschen. Fünf Mal in die an der Brust, ein Mal in die am Gesäß. Ausgerechnet Ex-Bochumer Jan Gyamerah musste schon in der sechsten Spielminute aufgrund der Ampelkarte den Platz verlassen. Nachdem er in der zweiten Minute unseren Kapitän Matus Bero an der Seitenlinie vom Rasen pflügte und dafür die erste gelbe Karte sah, begegnete er dem Ball eben jenes Slowaken vier Minuten später mit dem Arm und musste die zweite Verwarnung schlucken.
Von da an spielten unsere Jungs in Überzahl. Gegen eine früh in Unterzahl agierende Auswärtsmannschaft zu spielen bedeutet in Stimmungskesseln (wie dem Ruhrstadion) oft, dass das Ruder souverän an die eigene Brust gezogen werden kann und ein spielerischer Vorteil entsteht. Spielte unser Team auch zunächst eine souverän ruhige Kugel, die vermeintliche Überlegenheit symbolisierte, wurde in den Folgeminuten ersichtlich, dass die Kreativität und individuelle Klasse zum Ausnutzen des personellen Vorteils fehlte.
Wieder und wieder wanderte die Kugel auf Diagonalebene durch die eigenen Reihen. Druckvolle Steckpässe in die Spitze, kluge Einzelideen individueller Spieler, Vorstöße in Richtung Sechzehner, die gefährliche Torchancen kreieren? Fehlanzeige. Das zentral und in Richtung Offensive (zu) spitz ausgerichtete Spiel, welchem es offensichtlich an Mehrwert aufgrund der nicht besetzten Außen fehlte, brachte keinen Ertrag.
Formelle Anpassungen und spielerischer Aufwind im zweiten Abschnitt
Im Anschluss an die Pause reagierte Hecking personell und systemisch. Gerrit Holtmann und Koji Miyoshi wurden für den mit gelb vorverwarnten Koscierski und Mathis Claricia eingewechselt. Dementsprechend schien auch die systematische Ausrichtung eine Änderung zu erfahren. In Person von Miyoshi befand sich ein zwischen der Zehn und den Außenbahnen pendelnder Kreativspieler auf dem Platz, Holtmann wieselte rotierend über beide Flügelseiten. Unmittelbar nach Anpfiff initiierten die beiden Neuen fast die Führung. Holtmann dribbelte und sprintete über links durch, flankte nach innen – Miyoshi säbelte aus nächster Distanz knapp am linken Pfosten vorbei.
In der Folgezeit zeigte sich, dass der VfL das Spiel nun mit Offensivdrang und individueller Gefahr erweitern und vorantreiben konnte. Zunehmend drang Heckings Elf mit der Kugel am Fuß in die Elversberger Defensive vor. Häufig über die mittlerweile besetzten Außenpositionen und begleitet von einem im zentral offensiven Mittelfeld agierenden Spielmacher. So konnte Ibrahima Sissoko sich als erster in die Torschützenliste eintragen, indem er den Abpraller des zuvor von Mats Pannewig auf das Tor gewuchteten Kopfballs nach einer Ecke versenkte.

Gerrit Holtmann war derjenige, der in der 91. Spielminute für Klarheit sorgte. Sein noch abgefälschter Schuss aus der linken Strafraumregion senkte sich in den Maschen des langen Ecks vor der Ostkurve. Deckel drauf, Heimsieg, Abfahrt.
Zählbares und Emotionales im Konflikt mit Qualitativem
Der erste Erfolg ist eingefahren, der Fehlstart verhindert. Ich öffne das Phasenschwein: „Auch ein dreckiger Sieg ist ein Sieg“. „Am Ende zählen die Punkte“. „Gegen zehn Mann zu spielen ist immer schwer“. Die Floskeln in allen Ehren – glorreich war das nicht. In Überzahl seit Minute sechs, 17:3 Torschüsse, 15:5 Flanken, 10:0 Ecken. Das liest sich groß und überlegen – fühlt es sich aus meiner Sicht aber nicht an.
Das Gefühl, im ersten Durchgang im Anschluss an den Platzverweis nichts Überzeugendes erspielt zu haben, bleibt drückend im Nacken. Ist das der Anspruch des VfL Bochum, der erst frisch aus der ersten Bundesliga abgestiegen ist? Wie kann es sein, dass man so lange Zeit so dünn gegen eine personell reduzierte Truppe auftritt? Ist das System aus Halbzeit eins, welches es nicht hervorbrachte, spielerische Überlegenheit zu erzeugen, das Richtige?
Fragen über Fragen, die ich mir stelle. Letztendlich ist die Beantwortung derer aber natürlich im individuellen Ermessen und eventuell auch irrelevant. Das erste Heimspiel wurde gewonnen. Wir konnten zum ersten Mal jubeln. Dieter Hecking hat sich geöffnet, zum passenden Zeitpunkt systemisch und personell zu reagieren. Wir konnten mit dem Gefühl eines Heimsiegs die sonnenbestrahlte Castroper Straße hinunter laufen.
Ich glaube, dass dies genau das ist, was in einer engen zweiten Bundesliga mit zahlreichen, schwer einzuschätzenden Teams auf Augenhöhe reichen kann (und muss). Die Spiele ohne Glanz und Gloria zu bestreiten. Alles Zählbare mitzunehmen. Dreckig und schnörkellos. Effizient zu sein. Wie das Endergebnis der Saison dann auch immer aussehen mag.
Mit emotionaler Moral und dezentem Rückenwind in wichtige Wochen
Ich wünsche mir, dass Hecking und die Jungs aus dem Heimsieg Erkenntnisse, Energie und Raum zur Ideenentwicklung mitnehmen. In den vorstehenden 14 Tagen stehen zwei wichtige Spiele an. Zunächst auswärts im DFB Pokal beim BFC Dynamo und anschließend auswärts beim FC Schalke 04. Beides äußerst wichtig – sportlich und vor allem moralisch.
Dass das Team auf die volle Unterstützung und Energie von den Rängen bauen kann, hat sich heute mal wieder eindrucksvoll gezeigt. Lautstark, melodisch und pushend war das Ruhrstadion der zwölfte Mann. Ich war gern ein Teil davon – mit Gesang und Akzeptanz – und möchte und werde es auch in Gelsenkirchen sein.

Schön wäre es, wenn die Gesamtheit der Zuschauenden die aktuellen Gegebenheiten annehmen kann. Wir spielen in Liga zwei. Wir haben einen massiven personellen Kaderumbruch zu verpacken. Wir sind der VfL Bochum, der schon immer komische Fehlpässe gespielt, Spiele nicht durchgehend überzeugend gestaltet und oft gewackelt hat. So war es und so soll es bleiben. Unabhängig von der Liga, dem Gegner oder dem Schiedsrichter. Erfolgreich und konstant kann jeder – Bochum können nur wir!
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