Auch im Kieler Hafen platzt kein Knoten

Punkteteilung im wilden Abstiegsduell im Norden

Am 21. Spieltag der Bundesliga spielt unser VfL Bochum 2:2 unentschieden auswärts bei Holstein Kiel. Energie und Kraft haben zweifellos alle investiert und gelassen – ob auf dem Platz, auf den Stadionrängen oder vor dem Fernseher. Eine turbulente Fahrt auf der Achterbahn des schönsten Sports der Welt ändert nichts an der tabellarischen Situation. Wir sind und bleiben das Schlusslicht im Oberhaus. Es bleiben – wie jede Woche – Licht, Schatten und Fragen. Ein Kommentar.

Nach dem harmlosen Auftritt im Heimspiel gegen den SC Freiburg änderte Dieter Hecking die Startelf auf vier Positionen. Der gesperrte Ibrahima Sissoko, Dani de Wit, Philipp Hofmann und Moritz Broschinski erlebten den Anpfiff vom Unparteiischen Felix Zwayer nicht auf dem Rasen. Anstelle derer durften zwei Neuzugänge – Tom Krauss und Georgios Masouras – und zwei länger bekannte Kräfte – Myron Boadu und Felix Passlack – ihre Stollen von Beginn an in den Kieler Acker graben. Aus taktischer Perspektive schickte der Coach ein variables ‚3-4-3‘ und/oder ‚5-2-3‘ System ins Rennen.

Auf eine passable erste Halbzeit mit Führungswechsel zu unseren Gunsten…

Der Auftakt der Partie glich dem saftig schnittigen Wurf eines Bumerangs. Während gefühlt unsere ganze Mannschaft im Schein der im Auswärtsblock reißend weiß lodernden Fackeln mit Biss vom Anpfiff an ins Spiel stürmte, gab es ein Augenzwinkern später bereits den Elfmeter für die Hausherren. Felix Passlack bekam eine Flanke von John Tolkin im Strafraum an den – für Zwayer zu hoch positionierten – Ellbogen. Steven Skrzybski verwandelte den folgenden Elfmeter – 0:1.

Acht Minuten später sorgte Myron Boadu dafür, dass mir der Unterkiefer bis auf die Knie klappte. Die zuvor von Gerrit Holtmann stark vom linken Flügel herein gebrachte Kugel setzte er aus kürzester Entfernung links neben das Tor. Ein in letzter Sekunde dazwischen geschlagenes Kieler Abwehrbein sorgte dafür, dass mein Unterkiefer schnell wieder in seine Ursprungsposition zurück sprang. Zu bitter wäre es gewesen, wenn unser aktueller Topknipser die 101-prozentige ohne Fremdeinwirkung verdübelt hätte.

Zeigte sich heute wieder effizient und stark: Myron Boadu. Foto: VfL Bochum

Die 120 Sekunden zwischen Spielminute 37 und 39 zeigten mir endlich mal wieder eindrücklich, wie unvorhersehbar geil es sein kann, Anhänger des VfL zu sein. ‚Iron-Myron‘ Boadu zeigte urplötzlich seine bestialische Form aus dem Heimspiel gegen RB Leipzig und verbuchte einen zackigen Doppelpack.

Den beiden Toren gingen eine Toni Kroos nahekommende Ballverarbeitung inklusive ultrabrutalem Schnittstellenpass von Matus Bero und eine eiskalte Kopfballablage von Felix Passlack voraus, wodurch sich beide als Assistgeber eintrugen. Wir gingen mit einem von 0:1 auf 2:1 gedrehten Vorsprung in die Kabine.

…folgt eine blasse zweite Hälfte, in der das Spiel beinah verloren wurde

Zu Beginn der zweiten Halbzeit erschien plötzlich Philipp Hofmann im Mittelkreis, Gerrit Holtmann blieb für ihn in der Kabine. Mit dem zuvor für Boadu eingewechselten Moritz Broschinski war das berühmt berüchtigte Offensivschreck-Duo Bochums nun wieder auf dem Grün vereint. Fünf Minuten nach Wiederanpfiff führte ein Kopfball des von Ivan Ordets mäßig gedeckten David Zec zum Ausgleich der Störche aus Kiel. Patrick Drewes hatte die Flossen noch knapp dran, konnte den Einschlag jedoch nicht verhindern.

Eine gute Viertelstunde später erzielte Lewis Holtby nach Vorlage des eingewechselten Shuto Machino vom Sechzehner die 3:2 Führung für die Kieler. Da er in einem vorherigen Zweikampf die Hand im Gesicht von Tom Krauss hatte, nahm Schiedsrichter Zwayer das Tor nach Sichtung der TV-Bilder zurück.

Felix Passlack war derjenige, der quasi Hand in Hand mit dem Schlusspfiff für den Lucky Punch hätte sorgen können. Jedoch verarbeitete er die von Wittek von links hereingeschlagene Flanke exakt so, wie ich es vor 25 Jahren tat, als Opa mir den Marktkauf-Plastikball aus dem Blumenbeet zuwarf – haarsträubend unpräzise mit der Präzision einer Streuflinte über den Außenrist rutschend. Sodann pfiff Felix Zwayer die Partie ab.

Der VfL wie er leibt und lebt

Nun denn, so viel zum Spielverlauf. Was bleibt? Ein Punkt. Macht der zufrieden? Irgendwie nicht. War mehr drin? Schon. Hätte es auch weniger werden können? Ja. Wie nahezu immer präsentierten unsere Jungs ein schwankendes Gesicht im Stile des Jokers, welches Joaquin Phoenix nicht ambivalenter hätte verkörpern können.

Was durften wir erleben? Einen optimistisch offensiven Start, der postwendend eklatante Abwehrlücken in sich trug, die zuletzt in einem Elfmeter und dem Rückstand mündeten. Ein mutiges Box-to-Box-Pressing, welches gute Ballbesitzaktionen und Angriffsmöglichkeiten ermöglichte. Starke Flügelläufe und teils kernig getretene Flanken in den Sechzehner, die die Offensive verarbeiten konnte.

Die Effizienz eines Biatlethen an der Schussscheibe und den Riecher eines Lawinenspürhundes, deren Kombination den Blitzdoppelpack einleitete. Ein moralisch und spielerisch stark und lobenswertes Aufbäumen, auf welches ein noch stärker absackendes Nachlassen folgte, was Kiel ermöglichte, die zweite Halbzeit maßgeblich zu dirigieren.

Personelle und taktische Änderungen mit spürbarem Einfluss auf den Spielverlauf

Meiner Meinung nach zeigte sich heute klar, dass die personellen und taktischen Änderungen Heckings und der Einsatz unserer Neuzugänge einen klar ersichtlichen spielerischen und moralischen Aufschwung brachten. Tom Krauss spulte in der Zentrale schnelle Läufe ab, haute sich in Zweikämpfe, dirigierte und spielte gute Pässe. Gerrit Holtmann – endlich in der linken Offensive eingesetzt – sorgte durch seine Sprints und Hereingaben für Gefahr.

Zeigte in der linken Offensive einen starken Auftritt: Gerrit Holtmann. Foto: VfL Bochum

Georgios Masouras konnte sich noch nicht proaktiv durch gefährliche Aktionen zeigen – sorgte aber mit technischer Finesse, gutem Anlaufen und sinnvollen Läufen ohne Ballbesitz für Präsenz. Myron Boadu zeigte mit seinem Doppelpack, dass er aktuell auf dem Pinn genau derjenige ist, den wir brauchen.

Umso mehr fielen mir die Einwechslungen von Hofmann, Broschinski (negativ) ins Auge. Bitte nicht falsch verstehen: ich möchte die Jungs, die sich oft genug und loyal für uns engagieren, nicht denunzieren. Dennoch konnten sie, meiner Beurteilung zufolge, bei weitem nicht für die Sicherheit und Gefahr sorgen, die die zuvor benannten Jungs erzeugten.

In Halbzeit zwei fehlte exakt das, was in Halbzeit eins in Person von Krauss, Holtmann, Masouras und Boadu zu sehen war. Ich hoffe sehr, dass Boadus Hinterschenkel nicht zu lange schlapp macht und sich Holtmann nicht auch verletzt hat. Davon gehe ich irgendwie aus – anders kann ich mir nicht erklären, dass er nach der Halbzeitpause nicht mehr auf den Platz kam. Auch hätte ich darüber nachgedacht, Koji Myoshi anstelle von Hofmann einzuwechseln. Aber ich bin halt auch nur Lennart auf der Couch, nicht Dieter an der Seitenlinie.

Handelfmeter? Gehen mir auf den Zeiger…

Was mich rasend macht – auch, wenn ich damit nicht sagen möchte, dass es den heutigen Spielausgang maßgeblich beeinflusst hat – ist die unfassbar uneinheitliche und teils willkürlich wirkende individuelle Ahndung von (vermeintlichen) Handspielen im Strafraum.

Mal gibt es Elfmeter für Bälle, die an anliegende Arme und Hände springen – mal nicht. Mal gibt es Elfmeter für Bälle, die an abspreizende Arme und Hände springen – mal nicht. Mal ist es eine „völlig natürliche Körperreaktion“, mal ist es „naiv, weil die Hand da nichts verloren hat“.

Dass Passlacks Ellbogen im Sechzehner nichts über seinem Kopf zu suchen hat akzeptiere ich. Dass wir im Gegenzug nach einer Abwehraktion der Kieler mit Beteiligung des Arms keinen Elfmeter zugesprochen bekommen, während Harry Kane und die Bayern ihn vorletzten Freitag nach einer exakt identischen Aktion Gideon Jungs von Werder Bremen bekamen – ich verstehe es nicht.

Für mich ist es unfassbar schade und aufreibend, dass solche Aktionen auf solch penible und vor allem nicht (!) einheitliche Art und Weise sanktioniert werden. An dieser Stelle würde ich mich gern dem Vorschlag Tommi Schmitts in seinem Podcast ‚Copa TS‘ anschließen – bei unklaren Handaktionen im Strafraum einfach einen indirekten Freistoß geben, damit Spiele nicht allzu maßgeblich von solchen Aktionen beeinflusst werden.

Ein kleiner Ausblick auf kommenden Samstag

Im nächsten Heimspiel empfangen wir Borussia Dortmund anne Castroper. Dass Dortmund zuletzt arg strauchelt brauche ich vermutlich niemandem erzählen. Nachdem unter Neu-Trainer Nico Kovac an diesem Spieltag ein Heimspiel gegen den VfB Stuttgart verloren wurde, geht es kommende Woche zu unserem VfL. Zwischenzeitlich treten die Nachbarn von der B1 noch bei Sporting Lissabon in der Champions League an.

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass wir am 15.02. eine ähnlich (oder gleich) formierte Bochumer Mannschaft mit brennendem Willen und Motivation bis ins letzte Brusthaar sehen werden. Dass es den Dortmundern ein unangenehmes Bauchgefühl gibt, im Ruhrstadion antreten zu müssen. Dass Krauss mit Tempo die Zentrale dirigiert, dass Holtmann sich über den Flügel zu Flanken durchtankt und dass Boadus Hinterschenkel eine Wunderheilung durchlebt, um wieder mehrfach einnetzen zu können.

Nachdem wir in den vergangenen drei Bundesligapartien im Ruhrstadion gegen Dortmund drei Punkte durch drei Unentschieden holten, wäre es sehr geil, die Heimspiel-Punkteausbeute auf sechs zu verdoppeln – und zwar durch einen Heimsieg!

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Autor: Lennart Markmann

Am 19.02.2005 stand ich erstmals in der Ostkurve. Die geschenkte Karte eines Bekannten öffnete mir damals die Tür zu Block O links. Drei traumhaft rausgespielte Buden von Zwetschge Misimovic, Raymond Kalla und Tommy Bechmann sorgten dafür, dass der SC Freiburg punktlos aus der Stadt und der VfL nicht mehr aus meinem Herzen verschwand. Seitdem genieße ich die Höhen und Tiefen als Bochumer Junge. Lange Zeit in der Ostkurve stehend, anschließend in Block H1 sitzend und mittlerweile mit 34 Jahren auf dem Altherrenplatz in Block M1.

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