Starke Leistung völlig unter dem Radar

Der VfL Bochum geht in einem denkwürdigen Spiel gegen Union Berlin mit einem 1-1 vom Platz. Dabei war das Spiel lange unterbrochen, weil Torhüter Patrick Drewes von einem Feuerzeug am Schädel getroffen wurde. Was aufgrund der Geschehnisse dabei allerdings völlig untergeht: Die starke Leistung der Bochumer. Ein Blick auf das Sportliche.

Wenn ein Spiel so endet wie das gestrige ist klar, dass sich alle Schlagzeilen und Berichte nur um die Geschehnisse in der Nachspielzeit drehen. Das Regelwerk ist hier einfach unfassbar undurchsichtig und lässt viel Spielraum für Spekulationen, wie letztendlich der Ausgang des Spiels aussehen könnte. Genau an diesen Spekulationen möchte ich mich an dieser Stelle nicht beteiligen. Den Fans von anderen Vereinen, die sich über den bereits angekündigten Einspruch gegen die Wertung aufregen, sei nur eines gesagt: Allein aus Haftungsgründen ist ein Geschäftsführer in so einem Fall praktisch zum Einspruch gezwungen. Eine Komponente, die mir bei aller Diskussion viel zu wenig beachtet wird. Alles andere wird das Sportgericht entscheiden.

Worauf bei aller Emotionalität allerdings definitiv zu wenig geschaut wird ist die starke Auswärtsleistung der Männer in blau-weiß. Als abgeschlagenes Schlusslicht 77 Minuten (plus Nachspielzeit) in Unterzahl zu spielen und einen Punkt zu holen ist nach den vergangenen Wochen und Monaten alles, aber nicht selbstverständlich. Gerade nach Miyoshi’s dummer roter Karte hätte man als leidgeprüfter Anhänger erwartet, dass die Mannschaft völlig einbricht und sich ihrem Schicksal geschlagen gibt. Und ehrlich, wer hätte ihr es verübeln können? Wo soll das Selbstbewusstsein herkommen, dass man in dieser Situation noch was mitnehmen kann?

Aber weit gefehlt, man schafft es sogar noch in Führung zu gehen. Generell fiel die Mannschaft durch eine hervorragende Organisation der Defensive auf, Räume wurden klein gemacht und mit einem hohen Laufpensum das Fehlen von Miyoshi kompensiert. Gerade der in den letzten Monaten viel gescholtene Broschinski zeigte eine mehr als engagierte Leistung, ging weite Wege und holte als offensiver Alleinunterhalter immer wieder clever Freistöße raus, die der Mannschaft 30 Sekunden zum Durchschnaufen verschafften. Auch ein Passlack scheint sich in der offensiveren Rolle als rechter Schienenspieler abgesichert durch Oermann immer wohler zu fühlen. Oft wurden seine defensiven schwächen zu Recht kritisiert. In der neuen Rolle schafft er es deutlich besser sein Stärkenprofil gut einzubringen.

Generell muss man sagen, dass Hecking es schafft, die Mannschaft so aufzustellen, dass ein ganz großer Teil der Elf in Zonen und Rollen unterwegs ist, die ihnen gut liegen. Er scheut dabei auch nicht davor zurück, „große“ Namen auf die Bank zu setzen, erkennt Schwächen und seine eigenen Fehleinschätzungen bisher sehr zuverlässig. Dazu hat er es geschafft, die Mannschaft auch konditionell auf ein neues Level zu heben. Man soll nicht nachtreten, aber letztendlich muss die Frage erlaubt sein, wie hier unter Zeidler eigentlich gearbeitet wurde. Man bewegt sich jetzt sowohl konditionell als auch taktisch auf einem ganz anderen Level. Die Entscheidungsprozesse, die im Sommer zu Zeidler als Trainer geführt haben, sollten hier ganz hart aufgearbeitet werden.

Die Leistung macht Mut. Schafft man es dann im Winter, den Kader wie angekündigt noch punktuell zu verstärken, könnte der VfL Bochum wirklich nochmal in den Abstiegskampf eingreifen und irgendwie Platz 15 und 16 ins Visier nehmen. Hoffnung ist ein großes Wort und mit drei Punkten nach so vielen Spielen ist es auch verdammt schwer davon zu sprechen. Es ist aber nur menschlich, wenn man sich an den kleinen Dingen in irgendeiner Weise aufbaut – gerade, wenn der Abstand, wie schon in der letzten Woche geschrieben, auf Rang 16 doch noch eben nur so klein ist. Dieses kleine bisschen Licht am Ende des Tunnels, was man in der Ferne flackern sieht, könnte in der kommenden Woche wirklich zu etwas wie einem zarten Schimmer von Hoffnung anwachsen, wenn man es schafft, gegen den direkten Konkurrenten im Tabellenkeller, Heidenheim, den ersten Dreier der Saison zu holen.

Die starke sportliche Leistung gegen Berlin, die wegen der Geschehnisse völlig unter dem Radar bleibt, sorgt so zumindest für einen grundlegenden Optimismus.

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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