Zwischen Tasmania Berlin und dem letzten Strohhalm

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Der VfL Bochum verliert nach Augsburg auch gegen Bremen im Duell gegen einen „vermeintlichen“ Gegner auf Augenhöhe. Ein Versuch der emotionalen Einordnung zwischen Resignation, Wut und dem letzten Strohhalm, nach dem man immer wieder greift.

Mir fällt es schwer, meine Gefühle rund um den VfL Bochum aktuell vernünftig einzuordnen. Die letzten Wochen und Monate zeigen langsam ihre Spuren. Ich merke unterbewusst, wie eine Schutzreaktion einsetzt und ich mir immer weniger von den Ergebnissen auf dem Platz die Laune versauen lasse. Das liegt vermutlich zu einem großen Teil auch an dem emotionalen „heiß und kalt“, was man jede Woche erlebt. Montags und dienstags ist man angepisst von den schlechten Ergebnissen am Wochenende, Mittwoch postet der VfL Bilder vom Training und man bekommt doch wieder Bock aufs Spiel. Donnerstags oder freitags ist die PK und die Aussagen von Hecking machen wieder Lust auf mehr. Samstags geht man motiviert ins Spiel, egal gegen welchen Gegner und ist seit Hecking zu mindestens (meistens) über das positive Auftreten in der ersten halben Stunde halbwegs überrascht, nur um dann doch wieder relativ schnell zu merken, dass es am Ende doch nicht reichen wird. Woche für Woche. Immer das gleiche Spiel. Es ist einfach ernüchternd.

Es wird immer deutlicher, wie groß die Fehler eigentlich sind, die im Sommer gemacht wurden. Massenweise Fehleinschätzungen, die uns im vierten Bundesligajahr endgültig das Genick brechen könnten, nachdem man im Mai im aller letzten Moment noch den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Vermutlich auch davon euphorisiert, habe ich den Kader auch selbst lange viel zu positiv gesehen bzw. habe vor allem Marc Lettau als Verantwortlichen für den Kader zu wenig kritisiert. Mit jeder Woche wird einem schonungslos und mit einer entsprechenden Deutlichkeit vor Augen geführt, wie unfertig diese Mannschaft ist und vor allem wie sehr uns ein Abschlussstärke und ein spielerisches Element abgehen.

Ich selbst hätte gegen Bremen keine andere Startelf ins Rennen geschickt und im Wesentlichen war das auch unsere beste Mannschaft. Aus dem bestehenden Kader würde meiner Meinung bei entsprechender Verfügbarkeit nur noch ein Boadu für Hofmann und ein Medic für Ordets die Qualität anheben. Natürlich kann man jetzt sagen, dass wenn Holtmann seine Chance reinmacht oder Hofmann sich für einen direkten Kopfball anstatt einer Ballannahme im Strafraum entscheidet das Spiel anders verläuft. Über diesen Punkt sind wir allerdings schon sehr lange hinaus. Wenn du nach so vielen Spielen mit zwei (!) Punkten auf dem 18. Tabellenplatz stehst ist das schlicht und einfach ein Zeugnis für deine Arbeit, die du im Vergleich zu anderen Clubs im Sommer gemacht hast. Setzen sechs.

Und trotzdem erwischt man sich immer wieder dabei, wie man die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben will, dass der Bock doch noch irgendwie umgestoßen wird. Was das letzte bisschen Zuversicht am Leben hält? Allein die Tatsache, dass es auf den Relegationsplatz acht Punkte Rückstand sind. „Nur“ acht Punkte. Aber viermal so viele, wie wir aktuell auf dem Konto haben. Gleichzeitig schießt einem aber direkt der Gedanke in den Kopf, gegen wen man denn die Punkte holen soll, wenn es gegen Augsburger und Bremer, die mindestens genauso schlecht wie wir waren, nicht reicht, um mal vorne ein Tor zu schießen.

Ich bin hin und her gerissen zwischen „Die Mannschaft ist abgrundtief schlecht“ und „Mit 2-3 starke Transfers im Winter könnte das schon wieder ganz anders aussehen“. Der einzig rationale und vermutlich auch vernünftige Gedanke wäre, diese Saison einfach abzuhaken und die Planung für Liga 2 zu starten. Auf der anderen Seite wissen wir alle, was in Bochum für eine Euphorie entstehen kann, wenn sich die Mannschaft doch dafür entscheiden sollte, dass Tasmania Berlin seinen Rekord behalten darf. Damit Mission „Strohhalm“ ab dem 01.01.2025 gestartet werden kann muss allerdings der bestehende Kader dafür zwingend zwei Tage vor Weihnachten den Grundstein legen. Definition eines sechs-Punkte-Spiels. Ker, ich komm mir schon wieder blöd vor, wie sehr ich mich an die Hoffnung klammere. Vielleicht hat der 27.05.2024 in der Hinsicht nicht gut getan als Fan des VfL, dass man immer irgendwo doch noch Licht sieht. Irgendwo zwischen Tasmania Berlin und dem letzten Strohhalm. Das beschreibt es wohl am Besten, wo ich mich emotional gerade befinde.

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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