Ohne Zähne reißt dich der Wolf

Mit Peter Zeidlers enger Raute lächelnd in Richtung Kreissäge

Ein düsterer Herbst steht uns in Bochum bevor. Foto: VfL Bochum

Der sechste Spieltag der Bundesliga läuft. Wollt ihr brandneue News? Wir, der VfL aus Bochum, sind auf Platz 18 der Tabelle angekommen. Letzter. Die taktischen und personellen Änderungen des Trainers ab der 60. Spielminute reichen nicht aus, um den heiß ersehnten ersten Saisonsieg im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg einzufahren. Nicht nur das – Holstein Kiel holt einen Punkt bei Bayer 04 Leverkusen und zieht an uns vorbei. Dank eines einzigen von 18 möglichen Punkten auf dem Konto erleuchtet die Castroper Straße in den Strahlen der roten Laterne. Dieser Lichtkegel ist kein gemütlich warmer – er ist bedrohlich und gefährdend. Ein Kommentar.

Im Großen und Ganzen wirkte die Atmosphäre vor Anpfiff des gestrigen Spiels, dem Wetter entsprechend, heiter und positiv. Die verzockte Führung beim Rivalen an der B1 schienen alle weitestgehend gut verpackt zu haben. Gleichermaßen zuversichtlich war die Tendenz hinsichtlich der Antwort auf die Frage, wie unsere Jungs im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg reagieren werden. Ein Großteil derjenigen, die sich über den Kirmesplatz und die Castroper Straße zum Ruhrstadion aufmachten, äußerte Optimismus. Gute drei Stunden später verließen alle blau-weißen das schönste Stadion der Erde mit traditionell lang gezogener Fresse. Was war zuvor geschehen?

Minimale personelle Veränderungen im gleichen System

Peter Zeidler schien auch nach dem 2:4 des vergangenen Spieltags davon überzeugt, mit seinem eng formierten ‚4-4-2‘ das bestmögliche System auf dem Rasen zu postieren. Der Spielaufbau vor der gewohnten Viererkette sollte wieder Mal mittels einer Sechs, zweier Achter und einer Zehn zentral erfolgen und durch zwei Sturmspitzen gekrönt werden. Dabei verzichtete er erneut darauf, die äußeren Mittelfeldschienen und Flügelpositionen zu besetzen.

Gab am Samstag sein Comeback nach langer Verletzung: Ivan Ordets. Foto: VfL Bochum 1848

Personell schickte unser Coach zehn der elf Krieger, die vergangenen Freitag aufopferungsvoll in der Schlacht von Dortmund unser Wappen auf der regengetränkten Brust repräsentierten, auf den Rasen. Der einzige Wechsel fand in der Innenverteidigung statt. Abwehrschrank Ivan Ordets kehrte nach langer Verletzungspause zurück in die Startelf und ersetzte Tim Oermann. Der frisch gebackenen Vater Erhan Masovic – Glückwunsch an dieser Stelle – fehlte aufgrund von Trainingsrückstand im Kader.

Ein wechselhafter Spielverlauf mit variierenden Anteilen in Halbzeit eins

Die Anfangsphase gestalteten unsere Jungs mit offenem Visier. Unter anderem schmiergelte Maximilian Wittek einen starken Freistoß auf das linke Eck, den Wolfsburgs Schnapper Kamil Grabara solide parierte.

Nachdem Schiedsrichter Dr. Max Burda, der sein Debut in Liga eins feiern durfte, uns in Kooperation mit dem Kölner Keller einen Handelfmeter aberkannte, nutzte ich die Chance und lief los, um mir ein frisches Bier zu holen. Als ich auf dem Weg zurück in den Block aus der Ferne einen leisen „Ja!“- Aufschrei vernahm und Michael Wurst mit gedämpft förmlicher Stimmlage aus den Boxen erklang, war mir klar: Wir liegen zurück. Tiago Tomas verwandelte eine starke Hereingabe von Mohammed Amoura zum 0:1.

Trotz einer offensiven Reaktion unserer Elf, die in den Folgeminuten drei gute Chancen herausspielte, war es der Wolfsburger Jonas Wind, der das nächste Tor erzielte. Nach einer erneuten Vorlage Amouras überwand er Patrick Drewes per Direktabnahme und machte das 0:2.

Zeigte Jonas Wind nach seinem Jubel die Grenzen auf: Jakov Medic. Foto: VfL Bochum.

Sein darauf folgender – meines Erachtens nach respektlos dämlicher – Jubel vor der Ostkurve wurde rabiat und physisch von Jakov Medic quittiert, woraufhin es gelbe Karten hagelte. Über die Reaktion unseres Verteidigers lässt sich streiten – jedoch sollte jeder Profi, der überschwänglich vor des Gegners Fankurve feiert, auch mit dementsprechenden Konsequenzen rechnen.

Zaghafte Systemumstellungen und späte Wechsel in Halbzeit zwei

Coach Zeidler schickte die erste Elf nach der Pause unverändert ins Rennen. Nachdem der rechte Pfosten das 0:3 für die Wölfe durch den starken Amoura verhinderte und wir keinerlei Kreativität und Stringenz im Spielaufbau erarbeiten konnten, fanden in Minute 60 erste Wechsel statt.

Lukas Daschner ersetzte Dani de Wit positionsgetreu auf der Zehn, Moritz Broschinski kam für Anthony Losilla. Ein erstes Zeichen in Richtung Mut zur Veränderung, das sichtbar positiven Einfluss mit sich brachte. Broschinski brachte im rechtsorientierten Offensivbereich ein wenig Schwung. Daschner schob in der zentralen Offensive an und rotierte mit Philipp Hofmann, sodass wir von da an drei Akteure auf dem Rasen hatten, die vorne Dampf machten. Endlich auch vereinzelt über die Außenseiten, nicht ausschließlich durch die Zentrale.

Die darauf folgende Viertelstunde erbrachte eine Zunahme an starken Nuancen im Offensivspiel und herausgespielten Torchancen. So konnte Broschinski in der 72. Minuten von rechts eine krumme Flöte durch den Sechzehner flanken, die Myron Boadu zum 1:2 Anschlusstreffer vollendete. Die aktive Viertelstunde unseres VfL wurde belohnt.

Traf als einziger im Heimspiel gegen Wolfsburg: Myron Boadu. Foto: VfL Bochum

Dennoch war das einzig Nennenswerte, was bis zum Abpfiff noch geschah, das entscheidende 1:3 für die Gäste. Nach einem Foulspiel von Ibrahima Sissoko im Sechzehner scheiterte Jonas Wind bei seinem Elfmeter in der 88. Minute zunächst an Drewes, versenkte jedoch den Nachschuss. Das war er also – der ‚DWM‘ (der „Das-warˋs-Moment“).

Woran hat et jelegen? Der Versuch eines Resümees

Ich gebe mein Bestes, ein Fazit zum Spiel zu ziehen. Aus meiner Perspektive setzt es sich aus den folgenden Aspekten zusammen.

Trainer Zeidler schickte zum sechsten Mal das gleiche System, an dem er akribisch festzuhalten scheint, in die Partie. Erneut konnten wir durch das zentral komprimierte Spiel kaum Gefahr nach vorne erzeugen und zeigten uns im Spiel gegen den Ball auf den unbedeckten Außenbereichen des Mittelfelds verwundbar. Felix Passlack riss sich den Allerwertesten in Halbzeit eins bis über die Ohren auf und war der einzige, der über die rechte Offensivbahn (in Teilen und Ansätzen) Druck erzeugen konnte.

In der 60. Minute öffnete Zeidler die Formation in variablere Gefilde, was den zuvor schmerzlich vermissten Offensivdruck und Kreativität ermöglichte. 18 erspielte Torschüsse, 58% Ballbesitz und 21 erarbeitete Flanken (Wolfsburg erspielte sich fünf) genügten abschließend nicht, um an der einstigen Festung Castroper Straße ein Heimspiel zu gewinnen.

Eine Vielzahl subjektiv bewerteter Teilaspekte, über die sich nun streiten lässt. Nach Abpfiff sprachen einige Spieler von Fortschritten. Keine Frage: Chancen gab es, im Fortlauf des Spiels konnten Akzente gesetzt und Druck erzeugt werden.

Aber – und das ist im Profisport entscheidend: Unterˋm Strich hat es, aller vermeintlicher Fortschritte zum Trotz, erneut nichts eingebracht. Keinen Punkt, keinen Gewinn, gar nichts. Im Gegenteil: Wie bereits benannt – Holstein Kiel überholt uns und wir sind das Schlusslicht der ersten Bundesliga.

Wat willste in den kommenden Wochen damit machen?

Nun ist erst einmal Länderspielpause. Am 19. Oktober treten wir bei der TSG Hoffenheim an. Dann kommen die mächtigen Bayern und anschließend gehtˋs zur formstarken Eintracht aus Frankfurt. In der Folgewoche kommt der Meister aus Leverkusen und zur Krönung treten wir am 23. November beim sich auf internationaler Reise befindenden VfB Stuttgart an.

Das Programm liest sich, milde ausgedrückt, bescheiden und angsteinflößend. Den Aussagen Marc Lettaus zufolge steht ein Trainerwechsel nicht zur Debatte. So hat Peter Zeidler nun 14 Tage Zeit, sich und unsere Jungs auf die bevorstehenden (massiven) Aufgaben vorzubereiten.

Peter Zeidler scheint das Vertrauen des Vorstands vorerst weiter spüren zu dürfen. Foto: VfL Bochum 1848.

Wie wird er das wohl tun? Geht er in sich und sich die Frage stellen, ob er weiterhin seine favorisierte Formation zu Beginn aufstellt? Wird er anderen Spielern, die bisher selten Anteil haben durften, mehr Chancen geben? Wird er die Energie, die er in jedem Spiel mit motiviert wilden Bewegungen und Gesten an der Seitenlinie zeigt, fachlich gewinnbringend auf die Mannschaft übertragen?

Änderungen müssen her – ob taktisch oder personell.

Ich persönlich muss sagen, dass sich meine anfangs von mir selbst gepredigte Geduld zunehmend dem Ende neigt. Beim Öffnen der Kicker-App und einsehen der Startaufstellung habe ich mittlerweile wöchentlich ein mieses Bauchgefühl. Der Begriff „enge Raute“ fühlt sich für mich ähnlich ungeil an wie „Erkältung“, „Überstunden“ oder „regnerischer Sonntag“.

Mein größter Wunsch ist, dass Zeidler in Hoffenheim endlich eine Formation aufstellt, die auch die äußeren Spielfeldbereiche bedeckt. Es ist nun sechs Mal klar ersichtlich geworden, dass unsere Mannschaft es nicht schafft, ausschließlich zentral zu spielen. Wobei – klar schaffen sie das. Aber was wurde darauf basierend geerntet? Ein Punkt gegen den Aufsteiger aus Kiel und sechs Tore in sechs Spielen. Das dürfte, selbst in unserem stets realistisch kleine Brötchen backenden Verein, die Wenigsten auch nur ansatzweise befriedigen.

Auf der Bank sitzen immer noch zwei Spieler, die kreativ, schnell und gefährlich sein können: Koji Myoshi und Aliou Balde. Gestern ermöglichte Zeidler es den beiden, in der 88. Spielminute – unmittelbar nach dem 1:3 – ins Spielgeschehen einzugreifen. Das ist, da poche ich drauf, viel zu spät. Möglicherweise sind die beiden nicht bei 100%, nicht voll ins Spiel integriert und noch nicht komplett in Bochum angekommen. Aber dennoch sorgen sie sicher dafür, dass unser Spiel unberechenbarer und gefährlicher werden kann.

Der Verbleib Zeidlers muss akribisch geprüft werden

Ich lege mich fest: Peter Zeidler muss sich für Änderungen öffnen oder seinen Posten räumen. Welche Alternative bleibt? Unser aktuelles Spiel hat nicht ausreichend Biss. Es ermöglicht nicht, die spitzen Eckzähne, die der VfL aus Bochum durchaus im Kiefer hat, zu fletschen und gegnerische Teams zu beißen.

Bochum wünscht sich das Siegerlächeln zurück. Foto: VfL Bochum

Wo soll eine positive Veränderung im bestehenden Spiel her kommen, sofern es nicht von Sekunde eins an geändert wird? Die Durchhalteparolen aus den Interviews nach Abpfiff allein werden nichts bewirken. Wir sind ja hier beim Fußball und nicht irgendein Heiopei, der nur mit einem Blogbeitrag seinen Senf dazu gibt.

Die Kreissäge des Abstiegs in Liga zwei rotiert kreischend und reißend. So, wie es aktuell läuft, bewegt der Verein sich lächelnd in Richtung des Sägeblatts. Und das – das Wohl des Vereins – ist und bleibt das Größte, was Beachtung und Schutz brauch. Sollte es, so wie es im heutigen schnelllebigen Fußballgeschäft üblich ist, personelle Änderungen auf dem Trainerposten erfordern – meinetwegen sollen sie erfolgen.

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Autor: Lennart Markmann

Am 19.02.2005 stand ich erstmals in der Ostkurve. Die geschenkte Karte eines Bekannten öffnete mir damals die Tür zu Block O links. Drei traumhaft rausgespielte Buden von Zwetschge Misimovic, Raymond Kalla und Tommy Bechmann sorgten dafür, dass der SC Freiburg punktlos aus der Stadt und der VfL nicht mehr aus meinem Herzen verschwand. Seitdem genieße ich die Höhen und Tiefen als Bochumer Junge. Lange Zeit in der Ostkurve stehend, anschließend in Block H1 sitzend und mittlerweile mit 32 Jahren auf dem Altherrenplatz in Block M1.

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Einsachtvieracht-Stammtisch #84