Ein Fußballspiel hat zwei Halbzeiten – nicht nur eine

Foto: Einsachtvieracht

Der VfL Bochum verliert das Derby bei Borussia Dortmund mit 2:4. Nach ordentlichen 40 Minuten baut die Mannschaft merklich ab, kann das Tempo nicht mehr mitgehen und schenkt die Führung her. Eine emotionale Achterbahnfahrt mit ernüchterndem Ende. Der Ton wird langsam aber sicher rauer im Bochumer Umfeld. Ein Kommentar von Claudio Gentile, mit Unterstützung von Tobias Wagner.

Wo will man als Fan des VfL Bochum eigentlich hin mit seinen Gefühlen nach dem gestrigen Spiel? Ich kann diese Frage für mich gerade nicht so richtig beantworten. War man auf der einen Seite überrascht, dass die Mannschaft eine wirklich starke erste Halbzeit gespielt hat, in der fast alles geklappt hat, ist die Ernüchterung am Ende umso größer.

Bei mir macht sich ein leichter Hauch von Gleichgültigkeit breit. Woran das liegt, versuche ich noch herauszufinden. Ist es der unterbewusste Gedanke, dass Trainer Peter Zeidler eh bald nicht mehr da ist, weil er auf die grundlegenden Schwächen seines Systems nicht reagiert? Oder weil wir in den letzten Jahren immer „länger“ gebraucht haben, um in die Saison zu kommen? Nun zunächst aber mal von vorne.

Positionelle Veränderungen zur Vorwoche

Dani de Wit endlich auf der Zehn – Ibrahima Sissoko dafür auf die Acht und Toto Losilla auf die Sechs. Tim Oermann rückte für Erhan Masovic in die Innenverteidigung. Vermutlich so, wie viele von uns aufgestellt hätten. Zu Beginn sahen wir auch gute Wechsel zwischen Mittelfeld-Pressing und kurzen, getriggerten hohen Pressing-Phasen (wie beim 2:0). Matus Bero und Sissoko konnten Losilla laufstark unterstützen. Myron Boadu und Philipp Hofmann arbeiteten zu Beginn gut mit und waren dauernd in Bewegung. Jakov Medic wurde auf der für ihn ungewohnten linken Innenverteidiger-Position nicht zu sehr gefordert. Oermann konnte sein Tempo gut als zentrale Absicherung einbringen.

Konter und lange Bälle wurden von unserer Elf sehr gut ausgespielt. Hofmann und Losilla sorgten für Verbindung. Felix Passlack rückte gut nach. De Wit und Bero attackierten mit Boadu die Tiefe.

Der Knackpunkt kam dann allerdings irgendwann rund um die 35. Minute als Boadu die riesige Chance auf das 3:0 vergab und die Stürmer anfingen, nicht mehr konsequent nach hinten zu arbeiten (vor allem jener Boadu). Dortmund band Pascal Groß nun tiefer ein und schaffte es, die Räume zwischen den Stürmern und den tieferen Ketten zu nutzen. Sie konnten verlagern und warten, bis sich im Eins gegen Eins Möglichkeiten ergaben, den Rückraum konsequent zu bespielen. Durch das nun notwendige breite Herausrücken der Achter, wurden die Räume um Losilla immer größer.

Zum wiederholten Male geht uns die Puste aus

Und so ansehnlich der Auftritt bis dahin war, so sehr ärgert einen alles, was nach dem 1:2 passierte. Wir müssen darüber sprechen, dass die Mannschaft konditionell anscheinend nach 35 bis 40 intensiven Minuten teilweise an ihr Limit kam. In den bisherigen Spielen war das auffällige Abbauen der Mannschaft auch schon Thema – meist allerdings erst um die 55. bis 60. Minute herum. Bei DAZN wurde gestern eine Statistik gezeigt, die besagt, dass wir sage und schreibe 11 Punkte auf dem Konto hätten, sofern ein Spiel nach den ersten 45 Minuten abgepfiffen würde. Wie viele es nach 90 sind – das wissen wir alle.

Das ist für mich auch der größte Kritikpunkt an Peter Zeidler in seiner bisherigen Zeit in Bochum. Dachte man anfangs noch, der Trainer wird die richtige Mischung finden, erwische ich mich langsam immer wieder wie ich ernsthafte Zweifel daran habe. Eine solch intensive Spielweise, ohne auf den laufintensivsten Positionen ordentlich von der Bank nachlegen zu können, ist Scheitern mit Ansage.

Werden unsere vorhandenen Möglichkeit ausreichend genutzt?

Und da komme ich zu meinem nächsten Punkt. Unser Kader ist nicht schlecht, die Ansätze vor allem der ersten Elf zeigen es immer wieder. Aber wir sind nicht in der Lage, im aktuell gespielten System nachzulegen. So werfen wir mit den Wechseln regelmäßig die Ordnung und Balance über den Haufen.

Gegen Dortmund gab es nach der Einwechslung von Koji Miyoshi für Hofmann ein ‚4-4-2‘ mit De Wit als zweiter Spitze und Bero als Linksaußen. Mit Moritz Kwarteng und Aliou Balde war es dann ein ‚4-3-3‘ mit De Wit auf rechts, Miyoshi auf der Acht und Kwarteng auf der Zehn. Es gibt zwar immer wieder ordentliche Einzelaktionen, bspw. von einem Balde, aber es wirkt teilweise vogelwild, weil Spieler wie Balde, Kwarteng und Bamba absolut keine Bindung zum Spiel haben.

Man wird das Gefühl nicht los, dass die Mannschaft Potenzial für mehr hätte, bei weitem aber noch nicht da ist, wo sie sein könnte. Stattdessen wird sie in ein Korsett gezwängt, in dem sie jede Woche sehenden Auges ins Verderben läuft.

Dabei hilft es auch nicht, dass ein Patrick Drewes in seinen Leistungen zwischen Genie und Wahnsinn schwankt. Ich will hier keine Torwart-Diskussion eröffnen, aber beim ersten Gegentor gegen Kiel sah unser neuer Schnapper nicht gut aus, beim 2:3 gestern kann man über das Stellungsspiel diskutieren und mit seinem Patzer beim 4:2 beendet er praktisch jegliche Chance auf einen Punkt. Fußballerisch ist er kein Manuel Riemann, das erwartet auch niemand, da sind wir nach den letzten neun Jahren auch einfach verwöhnt. Aber ja, die Diskussion, ob man nicht Timo Horn eine Chance geben muss, wird aufkommen, trotz einiger guter Paraden auf der Linie.

Es wird Zeit für die Wende

Man hat nun in der kommenden Woche zu Hause gegen den VfL Wolfsburg massiven Druck. Bisher stand ein ganz großer Teil der Anhängerschaft hinter der Mannschaft. Das Team wurde nach den Spielen gegen Kiel und Dortmund jeweils freundlich verabschiedet. Nun merkt man jedoch langsam, dass das Ende der Geduld bei vielen nah ist.

Der Kipppunkt könnte ganz schnell erreicht sein, wenn unsere Jungs in der kommenden Woche gegen Wolfsburg nicht endlich die erforderliche PS-Zahl auf den Rasen bekommen. Vor allem, wenn sich die Mannschaft nicht endlich wieder daran erinnert, dass ein Fußballspiel zwei Halbzeiten hat – nicht nur eine. Es wird nicht einfacher. Vor allem, weil die Konkurrenz im Keller nun auch anfängt zu Punkten.

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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