Einen Gang runterschalten

Foto: VfL Bochum

Der Ton wird rauer in der Bochum-Bubble in den sozialen Netzwerken. Zu wenige Transfers, zu wenig Qualität. Ist es schon so weit, dass wir wieder im Panikmodus unterwegs sind? Woher kommt dieses flaue Gefühl bei vielen im Magen? Übertreiben es einige gerade oder brennt es schon lichterloh beim VfL bei der Besetzung des Kaders? Ein Kommentar.
Ich gehöre bei weitem nicht zu der Fraktion, die schnell panisch wird. So musste ich Anfang Juni für meinen Podcast mit Philipp Rentsch von Tief im Westen teilweise viel Kritik einstecken. Wir wären zu entspannt, würden zu wenig hinterfragen. Hintergrund war damals, dass bis auf Sissoko und Nachwuchsspieler Bamba noch kein Transfer fix war. Der VfL hatte großen Aderlass zu verzeichnen. Mit unter anderem Stöger, Schlotterbeck, Asano, Osterhage und Jimmy verließ viel Qualität auch aus der ersten Elf unseren Verein.

Immer wieder machen zudem Berichte die Runde, in denen betont wird, welchen finanziellen Restriktionen man aufgrund diverser Gründe, wie unter anderem der Weiterbezahlung von Thomas Letsch und Manuel Riemann, unterworfen ist. Ob es jetzt wirklich so „schlecht“ um das Transferbudget steht oder der Verein in Hintergrundgesprächen bewusst defensiv kommuniziert, um einer viel zu hohen Erwartungshaltung nach den bekannten Aussagen vom „höheren Regal“ im vergangenen Jahr entgegenzusteuern sei mal dahingestellt. Fakt ist, dass das Umfeld unruhig wird – ein guter Gradmesser dafür ist auch immer wieder die Qualität der Diskussionen, bei den Fans untereinander hat. Und diese werden immer hitziger.

Nach den Eindrücken der Testspiele würde ich für mich sagen, dass wir ein halbwegs ordentliches Grundgerüst von erster Elf haben – aber eben auch nur das. Sissoko ist eine absolute Verstärkung und wird seinen Teil dazu beitragen, die Abwehr zu stabilisieren. De Wit ist ebenso ein toller Transfer, wenn man ihn denn richtig einsetzt. Von vereinsnahen Quellen ist zudem zu hören, dass De Wit auch menschlich ein absoluter Gewinn für die Mannschaft sein soll. Nach dem Abgang diverser Führungsspieler sicherlich ein nicht unbedeutender Faktor. Als Niederländer dürfte die Sprachbarriere hier auch nicht ganz so groß sein, um schnell eine prägende Rolle auch in der Team-Hierarchie einzunehmen.

Fakt ist allerdings auch, dass wir noch massiv Baustellen im Kader haben. Das dürfte nicht nur uns Fans auffallen, das wissen auch die Verantwortlichen. Eine erste Elf mit gewisser Qualität kriegt man mit Biegen und Brechen auf den Platz, danach ist das Leistungsgefälle allerdings enorm. Von der angepeilten 18 + 6 Zusammensetzung des Kaders – 18 hochwertigen Feldpspielern und sechs entwicklungsfähige Nachwuchsspieler – ist man noch weit entfernt. Hart gesagt, hier ist der Kader Stand heute noch deutlich unter dem Niveau der letzten Jahre. Zoomen wir etwas raus, muss man allerdings auch sagen, dass der Verein aktuell auch in keinem leichten Umfeld operiert. Der Transfermarkt scheint generell nach der EM in diesem Jahr etwas Sand im Getriebe zu haben und nicht wirklich ins Rollen zu kommen. Mit den Olympischen Spielen bietet sich für einige jüngere Spieler die nächste Bühne sich zu zeigen. So hat beispielsweise Hoffenheim noch keinen einzigen externen Transfer getätigt. Auch bei anderen Vereinen ist bisher sehr wenig Bewegung in den Kadern. Das zeigt zum einen, wie behäbig der Markt generell aktuell ist, führt am anderen Ende aber eben auch dazu, dass bei den Vereinen, wo für unsere Verhältnisse mögliche Leistungsträger im Normalfall (bspw. ein Bernardo im letzten Jahr) hinten runterfallen das eben gerade nicht passiert. Zudem war der VfL einer der ersten Bundesligisten, der das Training wieder aufgenommen hat. Daher wirkt die ereignislose Zeit ggf. noch länger als sie eigentlich ist. Ich will mich hier nicht schützend vor den Verein stellen, aber plump mit der Quantität der Transfers zu argumentieren ist mir hier einfach zu einfach. Ich bin mir sicher, dass man den Kader schnell mit vielen Spielern auffüllen könnte. Das wäre dann aber nicht das Regal, was wir uns alle wünschen.

Der Satz „mehr ins Risiko gehen“ ist einer, der immer wieder von vielen Fans genannt wird. Zwar wird der im finanziellen Kontext genannt, ich bin mir aber fast sicher, dass der Verein das gerade tut, nur in anderer Form. Man wartet darauf, dass die Bewegung, die man als kleiner Verein braucht, endlich in die Kader der größeren Vereine kommt und die Spieler, die man im Auge hat, endlich auf den Markt kommen. Das wirkt für viele vermutlich wie „nichts-tun“ und birgt natürlich das Risiko, dass man am Ende mit einem halbfertigen Team in die Saison startet oder vielleicht gar nicht die Spieler bekommt, die man will, hat aber eben auch das „Upside“, dass man am Ende deutlich mehr Qualität im Kader hat, als wenn man sein Pulver jetzt schon verballern würde für das Regal drunter. Man darf nie vergessen – auch bei einem Vertrag zwischen Spieler und Verein gibt es immer zwei Parteien. Das ein Spieler wie de Wit schon am Anfang des Transferfensters bei seinem neuen Verein sein möchte um sich optimal vorzubereiten gehört eher zur Seltenheit. Auch Spieler wollen das bestmögliche für sich rausholen. Diese Perspektive wird oft gar nicht mehr gesehen, weil man als Fan eben kaum unparteiisch sein kann. Manchmal braucht es Zeit.

Nochmal, ich will hier gar nichts schönreden und sage sehr deutlich, dass wir noch bei weitem nicht wettbewerbsfähig sind mit dem Kader. Sich gegenseitig zu zerlegen in den sozialen Netzwerken hat aber noch niemanden gutgetan. Fußball ist und bleibt die schönste Nebensache der Welt. Aber eben eine Nebensache. Einen Blick weniger rein bei Transfermarkt, einmal weniger Twitter aktualisieren. Früher musste man auf Vollzugsmeldungen morgens in der WAZ oder den Ruhrnachichten in der Printausgabe warten. Wenn man ganz viel Glück hatte gabs im Videotext Seite 210-219 Neuigkeiten. Das wars dann aber schon. Einfach mal einen Gang runterschalten. Wir sind noch nicht mal in der Saison. Wir werden dieses Jahr schon noch genug Nerven verlieren.

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Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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Nachlese SSVg Velbert – VfL Bochum

Einsachtvieracht-Stammtisch #79