Entscheidung vertagt

Spielbericht zum Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim

Vor dem Spiel hieß es: „Alles oder Nichts“. Es wurde von manchen gar zum wichtigsten Spiel der Saison erklärt. Der Trainer wurde entlassen, die Wagenburg wurde aufgebaut und die Stimmung mit einem emotionalen Trailer angeheizt. Nach dem Spiel weiß man jedoch nicht so wirklich, wo man steht – kein Sieg aber dieses Mal selbst in der Nachspielzeit ausgeglichen und fast das Spiel gedreht. Mainz kam noch näher ran. Im nächsten Spiel kann Wolfsburg aber aus eigener Kraft überholt werden. Statt „Alles oder Nichts“ also eher „Entscheidung vertagt“.

Bei der Verkündung der Aufstellung gab es staunende Gesichter. Christopher „Jimmy“ Antwi-Adjei war überhaupt nicht im Kader. Wie wir später auf der Pressekonferenz erfuhren, lag dies an einem kurzfristig krankheitsbedingtem Ausfall. Stattdessen wurde mit Matúš Bero und Felix Passlack auf der rechten und Takuma Asano auf der eher ungeliebten linken Seite eine von Thomas Letsch bekannte Besetzung gewählt. Auch Erhan Masovic blieb in der Startelf, sodass Ivan Ordets und Tim Oermann auf der Bank Platz nehmen mussten.

Breit angelegtes Flügelspiel erzeugt Dominanz

In den ersten Minuten zeigte sich jedoch schnell, dass Heiko Butscher mit dem Ball einen anderen Ansatz als sein Vorgänger wählte. Asano und Bero besetzten die Flügel sehr breit und Stöger rückte sehr weit vor. Es wurde versucht, das Spielfeld extrem groß zu machen und aus einer ruhigen Ballzirkulation mit einem sehr hoch eingebundenem Manuel Riemann schnell mit Chipbällen über die Flügel in die Tiefe zu kommen. Statt des zentrumsorientierten riskanten Vertikalspiels von Letsch gab es also einen Ansatz, den wir Fans noch aus der Zeit von Thomas Reis kennen.

Durch die Flügelangriffe nahm unser VfL weniger Risiko für Konter in Kauf. Zudem konnte man die Bälle sehr schnell zurückerobern (im Schnitt neun Sekunden nach Ballverlust). Da Heidenheim sich gegen die von Riemann erzeugte Überzahl in letzter Linie eher in ein ‚4-1-4-1‘ Mittelfeldpressing zurückzog, sammelte unser Team viel Ballbesitz und erzeugte zumindest optisch eine Dominanz. Zaghafte Versuche eines höheren Pressing in den ersten Minuten bestrafte Riemann mit sehr guten Flugbällen auf die freien Außenverteidiger. Die Anfangsphase wirkte sehr stabil.

Dirigiert den VfL mittlerweile eigenständig - Heiko Butscher. Foto: Photomafia.
Dirigiert den VfL mittlerweile eigenständig – Heiko Butscher. Foto: Photomafia.

Gute Ansätze mit Luft nach oben

Bero zeigte viel Einsatz zur Unterstützung von Felix Passlack gegen Niklas Beste. Zudem bot er mit Ball viele Läufe entlang der Heidenheimer Abwehrkette an. So erzeugte er Möglichkeiten, kurze Übergaben zu nutzen, um Asano tief zu schicken oder den teilweise weit zurückfallenden Philipp Hofmann im Zwischenlinienraum flach anzuspielen. Mit Ball am Fuß wirkte der Slowake jedoch selten glücklich.

Das lag auch daran, dass die Bälle in den Zwischenlinienraum selten gut zu Ende gespielt wurden. Die Spieler dribbelten Freiräume selten konsequent an, um so Folgeräume für die Mitspieler zu schaffen. Stattdessen ging es oft früh wieder nach Außen, wo Passlack, Bero und Asano wenige Optionen hatten. Besonders Asano konnte mit seinem schwachen linken Fuß wenig Gefahr aus breiten Flügelpositionen erzeugen.

Asano und Hofmann waren die wichtigsten Verbindungen nach Vorne. Stöger wurde intensiv abgedeckt. Osterhage wurde erst in freien Positionen ignoriert und hielt sich später dann eher tief, um Konter zu sichern und den Zwischenlinienraum für Stöger und Hofmann weiter zu öffnen.

Heidenheim stellt um und Bochum bekommt Probleme

Etwa ab der 35. Minute stellte Heidenheim auf ‚4-4-1-1‘ um, indem die Nummer 16 – Kevin Sessa – vorschob. Bochum konnte sich auf die Belegung beider Innenverteidiger nicht so schnell einstellen. Masovic ließ sich mehrfach von Sessa rausziehen, so dass Bero und Osterhage in der Innenverteidigung aushelfen mussten. Beim vermeintlichen 0:1 von Beste stehen Bero und Osterhage auf den Innenverteidigerpositionen, da sowohl Masovic als auch Schlotterbeck ihre Positionen vorher verließen.

Mehr Letsch und mehr Druck

In der zweiten Hälfte begann Heidenheim wieder passiver im ‚4-1-4-1‘ gegen den Ball. Butscher stellte den Ansatz mit Ball etwas um. Bero ging bereits früher weiter nach innen, während Passlack höher die Breite besetzte. Stöger wich mehr nach links aus, um Asano mehr Freiheiten zu geben und selbst mehr Ballkontakte zu bekommen. Diese Struktur erinnerte nun wieder eher an Letsch. Der Plan ging auf. Stöger und Asano wurden deutlich präsenter. Unser Japaner kam zu zahlreichen Torchancen.

Erste Anpassungen und unglückliches Gegentor

Die Einwechslungen von Lukas Daschner und Moritz Broschinski waren passend zur neuen Struktur. Daschner passte besser zur eingerückten Rolle und Hofmann wurde durch die höhere Präsenz im Zwischenlinienraum mehr als Überzahlspieler auf Außen eingesetzt. Broschinski konnte dort mehr Tempo einbringen.

Daschner konnte sein Potenzial jedoch erst später zeigen. Zuerst erhöhte sich die Anfälligkeit auf rechts, da Passlack nun mehr auf sich allein gestellt war. Daschner fehlte im Vergleich zu Bero einiges an Präsenz gegen den Ball. Die spätere Einwechslung von Tim Oermann für mehr Stabilität war folgerichtig.

Parallel zu den Wechseln beim VfL stellte auch Heidenheim mit Marvin Pieringer für Sessa wieder auf das ‚4-4-2‘ um. Dieses Mal jedoch ohne Effekt. Das Tor fiel aus dem Nichts. Über unsere linke Abwehrseite lief bis dahin kein einziger Angriff. Durch Schlotterbecks verunglückte Rettungstat wurde das kurze Abstimmungsproblem von Bernardo und Osterhage knallhart bestraft.

Offensiv war jedoch zu diesem Zeitpunkt auch etwas die Luft raus. Asano war platt und ohne Bero fehlten die Läufe in die Tiefe.

Die Schlussoffensive dreht (fast) das Ergebnis

Butscher reagierte sehr passend. Mit Wittek für Asano brachte er wieder Tempo und jemanden, der auch von der linken Außenlinie Flanken schlagen konnte. Mit Goncalo Paciencia kam ein Abnehmer für solche Flanken. Die Stabilisierung durch Oermann wurde zuvor bereits erwähnt.

Nach dem 1:1 durch Schlotterbeck in der 90. Minute, gab es sogar noch die Riesenchance zum Sieg. Bei diesem Spielzug wären die Umstellungen fast komplett belohnt worden. Stöger fand Daschner im Zehnerraum, der zu Wittek und Bernardo verlagerte. Witteks Flanke setzte Paciencia aber leider knapp neben das Tor. Somit kam es nicht zum erhofften Befreiungsschlag.

Pechvogel und Retter zugleich - Keven Schlotterbeck.
Unglücksrabe und Retter zugleich – Keven Schlotterbeck.

Fazit

  1. Irgendwie hat sich die Situation kaum verändert. Mainz ist zwar noch näher herangekommen, dafür sind die Teams vor uns in Reichweite geblieben. Nun sind drei Punkte gegen Wolfsburg Pflicht. So würde unser Team die Wölfe hinter sich lassen. Auch Union Berlin und Werder Bremen kommen in den nächsten Wochen. Wir haben es in der eigenen Hand. Die Fans haben es verstanden und die Mannschaft nach dem Spiel mit Anfeuerung bedacht – Entscheidung vertagt!

Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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