Auf die Brechstange ist Verlass

Auch unter Thomas Reis bleibt alles beim Alten – Gegentore, Brechstange, Aufholjagd und Spektakel, aber kein Sieg.

Vor 16.859 Zuschauern im Bochumer Schmuckkästchen überraschte unser Neutrainer Thomas Reis bei der Startelf auf gleich mehreren Positionen. Mit Thomas Eisfeld und Milos Pantovic bekamen zwei in den letzten Wochen eher abgeschriebene Akteure das Vertrauen. Dafür mussten Danny Blum, Jordi Osei-Tutu und der von vielen erwartete Simon Zoller auf der Bank Platz nehmen.

Grundformationen in der ersten Halbzeit

Trotz der Umstellungen behielt Reis die gewohnte 4-2-3-1-Formation bei. Eisfeld nahm die linke und Pantovic die rechte Offensivposition im Mittelfeld ein. In der Theorie hätte die Aufstellung von eher zentral orientierten Akteuren eine Reaktion auf die massive Zentrumspräsenz des 3-4-2-1 der Dresdner darstellen können. Durch bis zu 5 zentrale Spieler hätte der VfL Bochum in dieser Zone eine Überzahl gegenüber dem 2-2-Zentrumsblock Dynamos herstellen können. Dies war jedoch nicht nötig, da Dynamo die beiden hohen Mittelfeldspieler etwas breiter positionierte, so dass diese von den Außenverteidigern Cristian Gamboa und Danilo Soares aufgenommen werden konnten. Die Umstellung hatte tatsächlich andere Gründe. Eisfeld und Pantovic arbeiteten deutlich mehr nach hinten als Blum und Osei-Tutu und brachten somit eine höhere Stabilität gegen die Flügelverteidiger Dynamos. Reis bestätigte später in der Pressekonferenz, dass diese Entscheidung auf die guten Leistungen der beiden in der Defensivarbeit in der vergangenen Trainingswoche zurückging.

In Ballbesitz gab es in der Abwehrreihe Ansätze der von Gertjan  Verbeek gewohnten Asymmetrie zu sehen, indem Soares höher als Gamboa positioniert war. So konnte Eisfeld etwas zentraler spielen, während Pantovic und Ganvoula abwechselnd die rechte Außenbahn besetzten.

Dresden hielt ein 3-4-2-1/5-4-1 dagegen. Die Flügelverteidiger und offensiven Mittelfeldspieler rückten dabei jedoch häufig mannorientiert heraus, so dass regelmäßig Varianten mit pendelnden Viererketten in 4-3-1-2 Staffelungen zu beobachten waren. Im Mittelfeld agierte Klingenberg deutlich offensiver und weiträumiger als Nebenmann Burnic. Die beiden offensiven Mittelfeldspieler Atik und Horvath agierten eher als offensive Außen, so dass die Breite häufig doppelt besetzt war. Cristian Fiel bestätigte nachher auf der Pressekonferenz, dass dies eine Reaktion auf das kompakte Zentrum des VfL war, um den Spielern mehr Räume zu geben.

Licht und Schatten in Halbzeit 1

Unser VfL kam gut ins Spiel. Die erste Chance hatte Vitaly Janelt nach Freistoß bereits in der 2. Minute. Es gab aber auch die üblichen Böcke wieder zu bewundern. So kam Dynamo zu seiner ersten Chance in der 4. Minute nach einem verunglückten Rückpass von Simon Lorenz. Auch der zurecht zurückgenommene Abseitstreffer Dynamos (15. min) ging auf abermals fehlende Abstimmung in der Verteidigung zurück.

Die Bochumer Spieler zeigten eine gute Aggressivität im noch recht individuellen Gegenpressing. Die Organisation in der Gruppe funktionierte bereits sehr gut, mannschaftlich gab es hinter den pressenden Offensivspielern jedoch noch häufig größere Freiräume, die dazu führten, dass man Hinterherlaufen musste, nachdem die Dresdner sich aus der ersten Pressingwelle lösen konnten. Dies wurde dadurch begünstigt, dass das Herausrücken in der Reihe dahinter noch nicht gut abgestimmt war, so dass meist sehr passiv verteidigte wurde, was den Dresdnern unnötig Zeit und Raum gab. Trotz einer 3 zu 1 Überzahl, rückte keiner der Verteidiger vor, um die Lücken vor der Abwehrreihe zu schließen.

Bei Ballbesitz VfL wurde die erste Halbzeit von einigen individuellen Glanzleistungen geschmückt. So konnte sich beispielsweise Maier in der 9. Minute nach einer starken Aktion durchsetzen. Durch den fehlenden Laufweg Eisfelds blieb diese Situation jedoch ohne Abschluss. Auch Losilla machte mit guten Ablagen und Drehungen auf sich aufmerksam. Ein Highlight war seine Hackenvorlage zu Maier vor der Chance von Pantovic in der 13. Minute. Ganvoula zeigte mehrere starke Ballbehauptungen. In dieser Hinsicht war der Kongolese kaum wieder zu erkennen.

Die Dresdner hielten mit ihrer Aggressivität dagegen, taten dies aber in recht unsportlicher Weise. So häuften sich bei den Dresdner Akteuren die Foulspiele und es verwunderte doch sehr, dass der Schiedsrichter trotz dreier gelber Karten für die Spieler Dynamos in Halbzeit 1 sehr viel unsanktioniert ließ. Vor allem Atik und Ebert hätten bei energischerem Durchgreifen seitens des Unparteiischen die erste Halbzeit gar nicht zu Ende spielen dürfen.

In der Halbzeitpause konnte Thomas Reis soweit zufrieden mit seinem Team sein. Die Defensive stand halbwegs stabil und nach vorne gab es mehrere aussichtsreiche Situationen. In allen relevanten Statistiken (Torschüsse, Ecken, Ballbesitz) führte der VfL.

Kalte Dusche nach dem Wiederanpfiff

Nach der Pause gab es in der 47. Minute direkt die kalte Dusche. Bochums Verteidigung hatte noch Zuordnungsprobleme gegen die Offensivreihe der Dresdner, die nun mit engeren Zehnern agierten und somit alle Schnittstellen der Bochumer Viererkette besetzten. Fiél wies in der Pressekonferenz darauf hin, dass man die Flügelverteidiger Löwe und Ebert mehr einsetzen wollte. Der Plan ging direkt auf. Lorenz musste nach Decarlis Herausrücken gegen zwei Dresdner im Zentrum verteidigen und kam somit nach der Flanke von Löwe von links gegen Jeremejeff den entscheidenden Sekundenbruchteil zu spät.

Unmittelbar nach der Einwechslung von Danny Blum für Maier in der 61. Minute gab es den nächsten Nackenschlag. Bei einem schnell vorgetragenen Angriff entwischte Koné der Bochumer Verteidigung und schob zum 0:2 ein (63. Minute). Damit war für die Bochumer mal wieder eine Aufholjagd angesagt. Thomas Reis legte entsprechend Offensivpersonal nach. Manuel Wintzheimer kam für Eisfeld (72. Minute) und Simon Zoller für Gamboa (80. Minute.). Pantovic durfte wieder als Rechtsverteidiger ran.

Lange Zeit hielt das Dresdner Bollwerk den Bochumer Angriffsversuchen stand. Dabei gab es insbesondere ein gutes Stellungsspiel der Verteidiger Dynamos zu sehen. Sie boten den Bochumern Offensivspielern immer nur die Seite des schwachen Fußes an. Soares musste meist mit rechts flanken, während andere Spieler nicht mit dem starken rechten Fuß in Abschlusssituationen kamen.

Bitte einsteigen… weiter geht die wilde Fahrt

Zum Glück machte ein Dresdner Verteidiger einen eigentlich schon ins Aus trudelnden Ball nach einer Flanke wieder scharf. Ganvoula behauptete den darauf folgenden Ball in die Spitze stark und legte genau im richtigen Moment auf Blum ab, der mit einem strammen Schuss Dresdens Schlussmann Broll keine Chance ließ – 1:2 (79. Minute). Das Stadion kochte und wartete auf die nächste Bochumer Achterbahnfahrt. Der Ausgleich fiel dann auch nach einer Ecke von Blum durch unseren Capitano Anthony Losilla (85. Minute). Die letzten 10 Minuten (inklusive 5 min Nachspielzeit) blieben jedoch ohne weiteres Tor. Die beste Chance vergab Ganvoula kurz vor Schluss (90+3. min).

Fazit und Ausblick

Thomas Reis zeigte, dass alle Spieler unter ihm eine neue Chance bekommen. Individuell gab es bereits kleinere Highlights zu beobachten. Besonders Ganvoula und Maier blühten auf. Bei reiner Betrachtung der Statistik (über Tore hinaus) war der VfL in beiden Halbzeiten überlegen. Besonders 42% Ballbesitz im gegnerischen Drittel ist eine beeindruckende Zahl. Auch hinsichtlich der zu erwartenden Tore (expected goals, ExpG) war der VfL deutlich überlegen (1,7 : 0,9 nach Schüssen, 2,4 : 1,0 nach Ballbesitzpositionen). Ergebnistechnisch blieb jedoch alles beim Alten –  Thomas Reis war kein Sieg vergönnt.

In den nächsten Wochen wird unser Cheftrainer daran arbeiten, die Kompaktheit auch auf Mannschaftsebene herzustellen und die offensiven Abläufe zu verbessern. Auf Letzteres wies er explizit in der Pressekonferenz hin. Hoffen wir, dass es ihm gelingt und wir in den nächsten Wochen souveräne Siege ohne Brechstange bestaunen können.

Autor: Tobias Wagner

Ich bin seit meinem fünften Lebensjahr Fan des VfL. Die Hochzeiten des Vereins mit den beiden UEFA-Cup Teilnahmen habe ich in meiner Jugend live miterlebt. Von da an war klar - für mich gibt es nur den VfL. Die Jungs von Spielverlagerung weckten meine Begeisterung für die Taktikanalyse. Auf erste Taktikanalysen, die noch direkt an den VfL versendet wurden, folgte der Blog "Blau-weiße Taktikecke". Später wurde ich dann selbst Autor bei Spielverlagerung und Trainer verschiedener Jugendmannschaften (U14-U16). Meine Begeisterung für Fußball, Training, taktische Raffinessen und statistische Spielereien möchte ich nun hier mit Euch teilen.

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