Der VfL Bochum 1848 trennt sich nach dem ereignisreichen 4. Spieltag von Trainer Robin Dutt. Wir hatten nach Spielschluss unsere Meinung dazu bereits in einem Kommentar kundgetan. Jetzt heißt es jedoch den Blick nach vorne zu richten. Der VfL braucht einen neuen Cheftrainer. Wir begeben uns auf Kandidatensuche.
In den heutigen Diskussionen um Fußballtrainer prallen zumeist Welten aufeinander. Auf der einen Seite befindet sich das Wort „Ballbesitzfußball“ und auf der anderen das Wort „Umschaltspiel“. Beide Begriffe haben ihre Anhänger, die dem jeweils anderen Begriff den „Tod“ unterstellen.
Bei unserer Suche nach einem neuen Chefcoach müssen wir die Thematik somit erst einmal versachlichen. Als Trainer wird man gerne in die eine, oder die andere Schublade gesteckt, dabei gehört beides zum Vierphasenmodell des Louis van Gaal.
In der obigen Grafik sehen wir den Verlauf eines Spiels. An diesem Verlauf muss sich jeder Trainer orientieren und so hat jeder Trainer einen Plan für alle vier Phasen. Ja, auch Ballbesitz-Trainer Pep Guardiola beschäftigt sich mit dem Umschaltspiel. Der Unterschied liegt nur in der Akzentuierung.
Zu Zeiten Gertjan Verbeeks hat sich der VfL als Vereinsphilosophie auf die Fahne geschrieben, den Fokus auf das Spiel mit dem Ball zu legen. Da auf der Vereins-Webseite der Begriff „Spielphilosophie“ nicht genauer erläutert wird und nie öffentlich von einer Umkehr die Rede war, gehen wir davon aus, dass das noch immer der Fall ist. Andere Trainer sollen trotzdem nicht außen vor gelassen werden.
Der bekannte Ansatz
Markus Anfang
Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Trainern passt Markus Anfang in das verbeeksche Profil, denn auch Anfang möchte den Ball bei seinem eigenen Team wissen und auf die Weise ein Spiel dominieren. Hierbei vertraut er auf ein Konzept, das auf klare Mechanismen zurückgreift. Die Umsetzung dessen beginnt bereits beim Torwart, der nur in seltenen Fällen nicht flach auf einen sich kurz anbietenden Innenverteidiger spielt.
Der Torwart ist während der gesamten Aufbauphase mit einzubeziehen, um Überzahl zu erzeugen. Durch ihn und sehr tief positionierten Außenverteidigern entsteht ein Fünfeck, das das gegnerische Pressing ausspielen soll. Bei einem hoch aufgerückten Gegner kann in Folge jedoch auch ein langer Ball gespielt werden.
Eine andere Möglichkeit, in Anfangs Repertoire ist das Einrücken der Außenverteidiger ins Zentrum. In seinem favorisierten 4-1-4-1 System entsteht dadurch eine Ballung im Zentrum. Entweder erschafft man damit eine Überzahl, oder der Gegner zieht sich ebenfalls so eng zusammen, sodass sich für die Innenverteidigung ein Passweg auf die Flügelspieler öffnet.
Markus Anfang lässt also ähnlich zu Gertjan Verbeek einen Ballbesitz ausgelegten Fußball spielen, der dennoch konterartige Situationen mit viel Tempo erzeugt.
Ist einmal der Gegner im Ballbesitz, dann möchte Markus Anfang ihn soweit weg wie möglich vom eigenen Tor halten. Die gegnerische Mannschaft wird also bereits früh zugestellt und attackiert. Dazu nutzt er klare Mannorientierungen auf allen Positionen, wobei der Gegner auch gerne mal weit verfolgt wird, ähnlich einer Manndeckung.
Michael Köllner
Der Ex-Coach des 1.FC Nürnberg möchte lieber die aktive Mannschaft in einem Spiel sein. Dabei legt er weitaus weniger Wert auf Formationen als sein Kollege Anfang. Köllner hält an keinen festen Ablauf fest, sondern passt seine Herangehensweise Woche für Woche an den Gegner an. Hierbei analysiert er, welche Räume zu bespielen sind, um dem Gegner wehzutun. Deshalb ist das meistverwendete Wort um seine Spielidee zu beschreiben wohl „Flexibilität“.
So wurde während seiner Amtszeit in Nürnberg nicht nur mehrere Formationen verwendet, sondern auch die Spielweise wies eine enorme Flexibilität auf, sodass sich Gegner auch hier nicht wirklich darauf einstellen konnten. Im Ballbesitz können beim Aufbau aus der ersten Linie heraus Zonen mehrfach besetzt sein, um eine stabile Zirkulation des Balles zu erzeugen. Ansonsten bauten die Nürnberger eher auf ein weiträumigeres Ballbesitzspiel, dass Anspielstationen auf mehreren Linien bieten sollte. Dazu wurde seitlich der Mitte jeweils eine Raute geschaffen, indem der Stürmer abkippte, ein Flügel einrückte, die Außenverteidiger vorzogen oder die Achter abkippten. Die Spieler hatten also keine klaren Vorgaben, sondern besaßen Entscheidungsfreiheit, wie sie in die vorher identifizierten Räume kommen.
Darüber hinaus waren auch lange Bälle ein häufig genutztes Mittel. Keine gezielten Pässe, sondern das lange Holz ist durchaus im Spielkonzept vorgesehen. Neben einem kontrollierten Spielvortag definierte der FCN sich auch darüber bewusst Chaos erzeugen zu wollen. Michael Köllner nimmt damit einen Ansatz mit in sein Konzept auf, der bisher noch wenig Beachtung findet. Die zu Beginn vorgestellten Phasen eines Spiels sind alles organisierte Phasen, doch wie jeder weiß, gibt es auch Momente, in denen niemand Kontrolle über den Ball hat. Die wenigsten Trainer haben für diese Momente einen Plan, weil sie aufgrund ihrer Unvorhersehbarkeit schwieriger zu trainieren sind.
Gegen den Ball agierten Köllners Nürnberg logischerweise auch unterschiedlich. Bei einem hohen Anlaufen griffen sie auf klare Mannorientierungen zurück und das Spiel soll von innen auf eine Seite des Feldes geleitet werden. Zumeist agierten sie jedoch aus einem Mittelfeldpressing heraus. Dabei wird insofern mannorientiert gespielt, dass bestimmte Spieler zugestellt werden, doch andere bewusst offen gelassen werden, um ein Zuspiel auf den Spieler zu provozieren. Diese oder die nächste Anspielstation wird in Folge isoliert und gleich mehrere Spieler stellen daraufhin Zugriff her.
Ein neuer Ansatz
Domenico Tedesco
Der Ex-Schalker legt seinen Fokus im Gegensatz zu den ersten beiden Kandidaten eher auf die Umschaltmomente in einem Spiel. Anhand der analysierten Spielweise des Gegners wird die eigene Verteidigung und der eigene Ballbesitz organisiert, um bereits richtig für ein erfolgreiches Umschaltspiel positioniert zu sein.
Während seiner Amtszeit beim Reviernachbarn stellte der S04 zeitweise die eine der besten Defensiven der Welt. Das gelang ihm, weil er sein Konzept im Vorfeld eines Spiels immer zusammen mit den Spielern erarbeitet. So entstehen am Ende oft simple Lösungen, die aufgrund der gemeinsamen Erarbeitung jedoch effektiv umgesetzt werden. Die Konstanten der Spielweise sind einmal das kompakte Zentrum und das in der defensiven Umschaltphase bis hin zum Spiel gegen den Ball ein ballorientiertes Angriffs- oder Mittelfeldpressing gespielt wird, um den Ball so tief wie möglich in der gegnerischen Hälfte zu gewinnen und einen kurzen Weg zum Tor zu haben.
In der Umschaltphase in die Offensive soll der Ball schnellstmöglich in einen Freiraum verlagert werden. Von dort aus soll es möglichst vertikal zum gegnerischen Tor gehen. Tedesco interessiert sich recht wenig für den eigenen Ballbesitz. So erklärte er dem Kollegen des Schalke-Blogs Halbfeldflanke.de:
„Meine Vision ist es, so Fußball zu spielen, dass der Gegner immer eine Bewegung macht und diese dann abbrechen muss. Ich will den Gegner eigentlich permanent auf dem falschen Fuß erwischen“.
Kenan Kocak
Beim SV Sandhausen entlassen, sucht auch Kenan Kocak einen neuen Job. Kocak hat seine Spielidee nicht wirklich akzentuiert. Er handelt im Vergleich zu den anderen Kandidaten am ausgeglichensten.
Im eigenen Ballbesitz stellte Sandhausen ein 3-4-3 her, indem der Sechser zwischen die Innenverteidiger abkippt und sich ein Offensivspieler ins Zentrum zurückfallen lässt. Im Zentrum wurde so eine Raute geschaffen, die einen Ballvortrag über Dreiecksbildungen in den Halbräumen ermöglicht. Im Vorfeld lässt Kocak den Ball geduldig in der ersten Linie zirkulieren lässt, woraufhin Pässe in den Zwischenlinienraum folgen, von wo aus der Ball weitergeleitet wird. Im letzten Drittel besteht ein hoher Fokus auf ein diagonales Passspiel in die Halbräume oder direkt ins Sturmzentrum.
In der Umschaltphase von Offensive zur Defensive sah der Plan wie folgt aus: Wurden die Sandhäuser zu langen Bällen gezwungen, stellten die Sechser zusammen mit einrückenden Flügelspielern eine Zentrumskompaktheit her. Außerdem rückte auch die Viererkette auf. So bot man dem Gegner zwar offene Räume an, auf Grund der vertikalen Kompaktheit stand man jedoch trotzdem stabil.
Einmal spiegelte Sandhausen bei einem hohen Pressing die Formation des Gegners, um auf dem gesamten Feld klare Mannorientierungen zu schaffen und den Gegner bereits im Spielaufbau unter Druck zu setzen. Ebenso gab es ein Mittelfeldpressing aus einer 4-4-2/4-2-3-1 Formation heraus, oder zu guter Letzt weniger starr ausgeführt Mannorientierungen, sondern der Versuch den Gegner in einen bestimmten Abschnitt des Feldes zu leiten. Dort wurden dann Lokalkompaktheiten hergestellt und der Gegner in Überzahlsituationen zu isoliert. Nur selten ließ sich Kocaks Mannschaft tief in die eigene Hälfte fallen.
Hannes Wolf
Zu guter Letzt ein beim Hamburger SV gescheiterter Trainer. Nach drei Meistertiteln im Jugendbereich ist Hannes Wolf mit einer Menge Vorschusslorbeeren ins Profigeschäft gekommen. Bei seiner ersten Station in Stuttgart schaffte er gleich in der ersten Saison den Aufstieg zurück in die 1. Liga. Diese Ergebnisse sprechen für ihn, so wurde der gebürtige Bochumer vom DFB mit dem deutschen Trainerpreis 2017 geehrt und bei seiner Vorstellung in Hamburg als „eines der größten Trainertalente Deutschlands“ betitelt. Die Amtszeiten in Stuttgart (ca. ein Jahr) und Hamburg (halbes Jahr) spiegeln jedoch ganz gut wieder, dass seine Trainerkarriere im Profibereich gerade etwas in Stocken gerät.
Die kloppsche Trainerschule findet sich auch in Hannes Wolf wieder. Er möchte, wie so viele deutsche Trainer nach dem Erfolg von Klopp, defensiv gut stehen, den Gegner früh pressen und über ein schnelles Umschaltspiel zum Torerfolg kommen. Ihr alle kennt den Klopps Vollgasfußball, wenn nicht, dann empfehle ich dazu das Buch von Martin Rafelt. Der Schüler hat jedoch die gleiche Schwachstelle, wie das große Vorbild. In Stuttgart, wie auch in Hamburg, bekamen seine Teams Probleme, sobald sie längere Ballbesitzphasen hatten. In diesen Situationen waren die Mannschaften überfordert Chancen zu kreieren. Darauf angesprochen sagte er im Jahre 2016:
„Es ist immer bisschen gefährlich, weil wenn man ein Thema rausnimmt und sich voll darauf stürzt, dann droht man die anderen zu vergessen, und trotzdem ist natürlich dass wir besser kicken wollen und auch mehr Ballbesitz spielen wollen, ist ’n großes Thema, nur du musst extrem aufpassen, wenn ich jetzt mich voll auf Ballbesitz stürze, dann verliert das Gegenpressing an Intensität, dann verliert das Verteidigen an Intensität, das heißt du musst immer alle Themen behandeln, weil du sonst auf einmal eine Sache ’n bisschen besser machst, dafür drei andere Sachen schlechter, und dann hilft es dir nicht.“
Die Aussage würde ich so unterschreiben. Ein Training muss schon einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, doch auch hier ist es, wie bei den Spielphasen, eine Frage der Akzentuierung.
Hannes Wolf besitzt ein unglaubliches theoretisches Fachwissen, wodurch er immer wieder neue Lösungen präsentieren kann. Dabei denkt er im Gegensatz zu Robin Dutt vorwiegend in Systemen/Formationen und nicht in Räumen. So spielten die Stuttgarter während ihrer Aufstiegssaison vorwiegend in einem 4-1-0-4-1 System. Die Null im Mittelfeld wird normalerweise kritisch genutzt, um auf dem Papier schlechte Verbindungen aufzuzeigen, doch in einer Liga, die auf ein kompaktes Mittelfeld und Mittelfeldpressing setzt, war das Umspielen dieser Kompaktheit ziemlich effektiv. Innerhalb von Trainerstationen kommt es allerdings unweigerlich auch zu schlechteren Phasen, in denen Probleme auftauchen, weil Gegner Mittel gegen die eigene Spielweise ausfindig gemacht haben. Da Wolf, wie vorher angemerkt, in Systemen denkt, führt das zu Umstellungen. Diese Anpassungen können so aufgehen, wie im genannten Beispiel, doch gehen sie schief, dann führt das zu weiteren Umstellungen. Davon waren seine Spieler irgendwann überfordert, wodurch sein Ende in Stuttgart, als auch in Hamburg besiegelt war.
Der VfL kann mit Hannes Wolf einen aus Bochum stammenden Fachmann bekommen, welcher jedoch in den Gesprächen beweisen muss, dass er inzwischen Lösungen für seine bisher wiederkehrenden Fehler gefunden hat.
Fazit
Der VfL Bochum steht vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Jeder Trainer hat, wie alles im Leben, seine Vor- und Nachteile. Aus dem Pool unserer und weiterer Kandidaten die zum Verein passende Person zu finden, ist nun Aufgabe des zuletzt von Medien und Fans hinterfragten Sportvorstand Sebastian Schindzielorz. Auch seine Zukunft wird an dieser Entscheidung hängen. Eine richtungsweisende Entscheidung eben.
Welcher der vorgestellten Trainer würde euch am ehesten zusagen? Stimmt in der Umfrage ab und/oder lasst uns in den Kommentaren wissen, wen ihr alternativ vorschlagt.
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