Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Wir von einsachtvieracht haben in den letzten Wochen versucht, euch für eine der wichtigsten Entscheidungen in der Vereinshistorie am morgigen Samstag in der JHV, eine möglichst breite und differenzierte Informationsbasis zu liefern. Wir wollten das Thema möglichst neutral angehen, um jedem bei seiner eigenen Meinungsfindung möglichst unvoreingenommen zu unterstützen. Wir sind ein Blog, bestehend aus 12 Individuen, jeder mit seiner eigenen Meinung. Bei vielen Themen sind wir nicht einer Meinung, wir diskutieren viel. Doch beim Thema Ausgliederung sprechen wir mit einer Stimme. Deswegen wollen wir euch heute, zum Abschluss unserer Artikel zur Ausgliederung, unsere ganz persönliche Meinung darlegen.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Veränderungen sind anstrengend, deswegen versucht man sie unbewusst zu vermeiden. Das fängt schon bei ganz kleinen Dingen an. Es setzen sich am Esszimmertisch in der Regel immer alle auf den gleichen Platz, ohne dass es dafür klare Regeln braucht. Die meisten Menschen sehnen sich nach Konstanten im Leben. Für viele ist der Fußball genau so eine Konstante. 22 Männer (oder auch Frauen ) auf dem Platz, zwei Tore, ein Ball. Sich über den Schiedsrichter aufregen, die Dönningshaus-Wurst essen und das leckere Fiege in der Hand. So war es die letzten 30 Saisons in Bochum und so soll am besten auch immer bleiben. Nur hat sich die Welt, in der wir leben, in den letzten Jahren durch technologischen Fortschritt und einer immer weiter voranschreitenden Vernetzung komplett verändert. Stillstand ist Rückschritt. Zögere ich zu lange, kann ich als Unternehmen aus einer marktführenden Position schnell in die Insolvenz rutschen. Kodak und Nokia sind hierfür grandiose Beispiele. Aber auch ich persönlich als Arbeitnehmer kann mich plötzlich mit Maschinen konfrontiert sehen, die meinen Job schneller, besser und vor allem günstiger machen können. Alles dreht sich nur noch ums Geld, wird da der ein oder andere sagen. Wir sind doch hier im Pott – „hier wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld“ – richtig, richtig. Nur so sehr ich diesen Charme als Pottkind auch zu schätzen weiß, letztendlich ist „ohne Moos nix los“. Und das gilt mehr denn ja auch für den Fußball. Diese Veränderung ist anstrengend und in den Augen vieler gefährlich.

Natürlich kann man das scheiße finden, dass der Fußball immer kommerzieller wird. Nur die Augen davor zu verschließen und laut „Ich mach da nicht mit. Punkt“ zu schreien, bringt leider nicht viel. Alles, wo viel Geld drinsteckt, wird irgendwann kommerziell. Irgendjemand muss die Party schließlich bezahlen. Alles in der Welt dreht sich um Geld. Aber gerade im Ruhrpott sieht der Fan den Fußball aber als eine der letzten Bastionen gegen Kommerzialisierung, Digitalisierung und Globalisierung. Eine Festung gegen eine immer schneller werdende Welt. Und das ist bis zu einem gewissen Grad auch gut. Nur darf man sich der Wahrheit nicht verschließen, dass der VfL im Profibereich nun mal gewissen Marktmechanismen unterliegt. Kein Spieler kommt nach Bochum, weil der Stadtpark so schön grün oder das Fiege so gut schmeckt. Genauso wenig geht ein Fan zur Arbeit, weil die Gratis-Kaffee-Plörre in der Kaffeeküche so lecker ist.

Möchten wir Profifußball in Bochum sehen, muss man Lösungen finden, wie man diesen auch in Zukunft darstellen kann. Marktmechanismen lassen sich nicht durch den festen und unerschütterliche Glauben an Tradition und einen „unbeugsamen“ VfL ausheben. Es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Erfolg und Geld. Egal wie oft dieser Punkt geleugnet wird, es gibt ihn. Das sieht man bei uns in der Zweiten Liga im Kleinen, wenn Hannover und Stuttgart mit den mit Abstand größten Etats aufsteigen, aber auch im Großen in Paris, bei ManCity oder Chelsea. Keiner erwartet, dass man jeden Trend mitmachen muss. Keiner sagt, dass wir sofort in Liga 3 absteigen, wenn wir nicht ausgliedern. Nur die Wahrscheinlichkeit steigt immens, dass man früher oder später unten reinrutscht, wenn man jetzt keine Chance hat, sich strategisch an den großen Fleischtöpfen zu positionieren. Und wenn mir jetzt einer kommt mit „Bei der aktuellen sportlichen Lage sollte man nicht an eine Ausgliederung denken“ – sorry, aber jeder, der nicht nur von der Wand bis zur Tapete denkt wird erkennen, dass man eine so langfristige strategische Entscheidung nicht aufgrund von sehr kurzfristigen Einflussfaktoren fällt. 

Keiner erwartet, dass man seine Seele verkaufen soll. Wir sprechen nicht von einem arabischen Scheich oder einem launischen chinesischen Milliardär, der mal gerne eine Manager-Karriere bei FIFA im echten Leben nachspielen will.  Findet man einen Investor, der charakterlich zum VfL passt, dann muss mir ernsthaft einer erklären, was dagegen spricht. Wir verkaufen weder nennenswerte Stimmrechte noch die Tradition unseres Vereins. Und wenn jetzt das Argument kommt, die Seele des Vereins würde sich verändern? Dann definiert mir doch mal, was ist denn diese „Seele“? Dass man alles Moderne um jeden Preis blockt? Dass man alles, was mit Kapital zu tun hat, generell ablehnt? Wenn es nur darum ginge, haben wir dann nicht unlängst unsere Seele mit lukrativen Sponsorenverträgen verkauft?

Die Seele des Vereins wird sich auch verändern, wenn man unten reinrutscht. Ja, ich werde auch noch zum VfL gehen, wenn wir in der vierten Liga spielen. Aber der Verein ist dann nicht mehr derselbe. Auch das ist dann nicht mehr der VfL, den wir kennen. Kann ja sein, dass einige schon ein feuchtes Höschen bekommen, wenn sie daran denken, wie sie mit 30 „echten“ VfL’ern in der Regionalliga in Uerdingen im Block stehen. Für mich ist das keine erstrebenswerte Zukunft. Nicht, so lange ich eine realistische Perspektive auf etwas Erfolgreiches habe. Aber das ist irgendwie auch so typisch deutsch. Man muss sich dafür schämen, dass man Erfolg will – selbst wenn Erfolg bei einem Verein wie Bochum relativ ist. Und da schließt sich der Kreis. Veränderungen sind anstrengend. Und wenn ich Erfolg will, brauche ich nun mal manchmal diese anstrengenden Veränderungen, muss Chancen ergreifen und mein warmes Nest, meine Komfort-Zone, verlassen und etwas neues wagen. Wir sehen eine Ausgliederung als solch eine Chance. Wir sagen „Ja“. 

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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