Wenn man als langjähriger Anhänger eines ziemlich erfolglosen Traditionsvereins als „Kunde“ betitelt wird und einem gesagt wird, mein sei kein „richtiger“ Fan, dann ist das irgendwie hart. Neulich passierte mir in einer Diskussion genau dies. Ich habe einige Dinge unterstützt, die man als „echter“ Fan laut meines Diskussionspartners niemals unterstützen würde. Böse Kommerzialisierung. Es war von meinem Gegenüber „nur so daher gesagt“, aber irgendwie beschäftigte mich die Frage doch mehr als ich gedacht hätte. Kann ein so unsexy Verein wie der VfL überhaupt Kunden haben?
Bochumer Junge? Oder doch nicht?
Nun, wie wird man Anhänger des VfL? Für mich als gebürtiger Bochumer war die Messe in der Hinsicht schnell gelesen. Im zarten Alter von sechs Jahren wurde ich das erste Mal mit ins Stadion geschleppt. Natürlich machte der VfL beste Eigenwerbung und verlor das Spiel. Etwas Anderes wäre auch untypisch gewesen und hätte mir einen falschen Eindruck von dem Verein vermitteln können, dem ich nun seit 19 Jahren die Daumen drücke. Wenige Tage nach dem Spiel ging es dann direkt in den Fan-Shop. Das gute alte Dingen neben der Eisdiele Faghera in der Innenstadt. Mein Vater, der ungefähr so viel mit Fußball zu tun hat wie Helene Fischer mit dem DFB-Pokalfinale, kaufte mir mein erstes Trikot. Man muss nur lang genug nerven, dann geht alles. Das legendäre Papageien-Trikot in Größe 128. Peter Peschel Flock. Ich war stolz wie Bolle.
Das Bild, das der VfL einem unweigerlich vermittelt
Es folgten unzählige Stadionbesuche, viele Klatschen, wenige Highlights. Auswärts-Siege auf Schalke in der nagelneuen Arena. Das legendäre 3-0 gegen den BVB. Der 1-0 Sieg gegen die Bayern mit dem Tor durch Peter Madsen. Ein Edu, der über den Ball trat. Ein Torschützenkönig aus Griechenland, der regelmäßig Sirtaki im Ruhrstadion tanzte. Ein emotionales Endspiel gegen Hannover um den Abstieg. Die gescheiterte Relegation gegen Gladbach. Ein jahrelanger sportlicher Abstieg mit purem Existenzkampf in Liga 2.
Geh mir wech mit dem Kommerz
Auch die voranschreitende Kommerzialisierung des Fußballs macht vor unserem VfL nicht halt. Doch bin ich nun gleich ein „Kunde“ und kein Fan, kein echter „Bochumer Junge“, weil ich mich dafür ausspreche, dass der VfL gewisse Entwicklungen mitmachen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Überall auf der Welt versuchen die Fußballvereine ihre Umsatzzahlen zu steigern. Immer größere Fan-Shops, eine starke Positionierung im wachsenden asiatischen Raum und immer neue Vertriebswege werden gesucht. Gerade im Ruhrgebiet kann der Fan mit solchen Dingen in der Regel wenig anfangen. Es gibt traditionelle Wertevorstellungen, die recht konservativ geprägt sind und vor allem das Malocher-Image der harten, ehrlichen Arbeit hochhalten. Fußball hat für viele einen anarchischen Touch – eine Bastion und Konstante gegen die Digitalisierung, Globalisierung und eine immer schneller werdende Welt. Hier ist immer noch wichtig, was auf dem Platz passiert. Ruhrstadion, Fiege, Dönninghaus. Aber ist der zwölfte Mann noch das, was er mal war? Oder wird er vom Verein doch nur noch als Kunde wahrgenommen?
It’s all about money
Fakt ist, auch unser Verein muss verkaufen – sei es Tickets, das neue Trikot oder eben doch das Bier im Stadion. Es gibt gewisse ökonomische Zwänge, denen sich keiner entziehen kann. Kommt kein Geld rein, kann ich auch nichts ausgeben. Und verdiene ich weniger als mein Mitbewerber, kann ich mir nun mal Spieler X nicht leisten oder dem Leistungsträger Y keine Vertragsverlängerung zu marktüblichen Konditionen anbieten. Doch gibt es in meinen Augen einen bedeutenden Unterschied zwischen einem Kunden und einem Fan. Der Kunde kann sein Produkt wechseln. Passt ihm die gebotene Leistung nicht, geht er halt in ein anderes Stadion. Der Fan kann dies nicht. Wo die Liebe hinfällt, Liebe kennt halt keine Liga. Es war noch nie attraktiv, Fan des VfL zu sein. Erfolge ziehen Leute an, die sonst wenig bis gar nichts mit Fußball und speziell dem Verein zu tun haben. Nur den gibt es in Bochum schlicht und einfach nicht. Den gab es auch noch nie. Und den wird es wohl in naher Zukunft nicht geben – zumindest nicht den Erfolg, der das typische Kunden-Publikum anzieht.
Darf ein Verein sich verändern?
Mit Blick in die Zukunft tut sich für mich in diesem Gesamtkontext nun eine neue Fragestellung auf: Wie weit darf ein Verein in Puncto Kommerzialisierung gehen? Eine generelle Antwort zu finden, dürfte äußerst schwer sein. Wollen wir weiter Profi-Fußball in Bochum sehen, unterliegt der Verein den bereits beschrieben ökonomischen Marktmechanismen. Zwangsläufig wird sich dann die Frage stellen, welchen Entwicklungen wir uns pauschal verwehren wollen. Es darf in meinen Augen kein Argument sein, alles, was in irgendeiner Weise mit einer Modernisierung und Veränderung zu tun hat, abzulehnen. Wandel ist per se erstmal nichts schlechtes. Das Risiko, durch eine latente Abwehrhaltung Trends, auch positive, zu verschlafen, ist enorm. „Das haben wir immer schon so gemacht, es klappt ja“ – hat sich beispielsweise Nokia auch gedacht, als die ersten Smartphones auf den Markt kamen. Die direkten Auswirkungen dieser desaströsen Fehleinschätzung konnten wir alle in unserer Stadt miterleben. Natürlich würden viele von uns den VfL auch in die dritte oder gar vierte Liga begleiten und unterstützen – auch ich. Nur für erstrebenswert halte ich eine solche Entwicklung – Fußballromantik in allen Ehren – nicht. Der VfL macht seit 2,5 Jahren endlich wieder Spaß. Es ist eine klare positive Entwicklung zu erkennen – in allen Bereichen. Doch soll auch in Zukunft mindestens die zweite, perspektivisch vielleicht sogar wieder die erste Liga in Bochum gastieren, wird auch der „Fan“ des VfL Bochums nicht drumherum kommen, dem Verein Möglichkeiten zuzugestehen, einige Marktentwicklungen mitzumachen und vor allem Geld zu verdienen. Damit meine ich nicht, dass wir jedem Trend blind folgen sollen oder es unterstützen müssen, dass eine U20 aus Fernost in der Regionalliga spielt. Nur müssen wir als Fans uns fragen, was uns wichtig ist und Kompromisse finden. Dass unserer Vereinsführung der Stellenwert von Tradition und Lokalpatriotismus in Bochum durchaus bewusst ist, hat sie unter anderem durch die Vertragsverlängerung mit Fiege bewiesen. Auch die Zusammenarbeit mit Viagogo wurde nach massiven Fan-Protesten eingestellt. Wir haben die Möglichkeit, den Prozess aktiv mitzugestalten. Wir haben einen gewissen Einfluss, eine gewisse Macht. Dieser müssen wir uns bewusst sein. Nur mit dieser Macht kommt auch eine Verantwortung. Wir als Fans müssen und sollen auch gar nicht alles schlucken – aber wir sollten uns auch nicht pauschal allem verwehren und uns genau überlegen, wo wir ja und wo nein sagen. Denn jede Entscheidung hat Konsequenzen.
Die Chinesen sagten mal: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die andere Windmühlen.“ Sehen wir zu, dass in Bochum die richtigen Windmühlen gebaut werden.
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