Zuletzt haben wir uns bei „einsachtvieracht“ mit dem Kader und der Spielidee des VfL Bochum beschäftigt. Dieser Artikel baut darauf auf, indem ich eine Möglichkeit der spielerischen Weiterentwicklung aufzeigen möchte
Wie komme ich darauf? Die vergangene Saison ist für den VfL unrund verlaufen, als Fan von Verein und Taktik beschäftigt man sich unweigerlich mit der Perturbation¹. Von den vielen Verletzten mal abgesehen, waren taktisch der Verlust des stabilisierenden Zentrumsfokus bei den Manndeckungen und das verwaiste Zentrum bei eigenem Ballbesitz, die zu einem noch stärker ausgeprägtem (berechenbaren) Flügelfokus in den Angriffen und einer hohen Konteranfälligkeit in der Defensive führten, die Gründe des schwankenden Saisonverlaufs. In der Kaderzusammenstellung der VfL talentierte Spieler gefunden, von denen Einige jedoch noch weit von ihrem Peak² entfernt sind. Doch warum haben einzelne Spieler ihre Fähigkeiten nicht voll ausschöpfen können? Hier kommen wir auf die Kaderanalyse zurück. Wie dort schon bemerkt, mussten sie stellenweise Positionen und Rollen ausfüllen, die nicht optimal zu ihrem Fähigkeitenprofil passen (was durch die vielen Verletzungen noch einmal verstärkt wurde). Eisfeld, Saglam, Stöger, Stiepermann, Weilandt und Merkel sind allesamt Zentrumsspieler.
Verbeeks Aufgabe ist es also, all diese Spieler in ein System zu integrieren, indem sie ihre Stärken ausspielen können, ohne seine Spielidee zu verlieren, die inzwischen im gesamten Verein etabliert wurde. Außerdem soll, laut Aussagen der Verantwortlichen, in dieser Saison die Familiarität die Blau-Weißen zurück auf die Erfolgsspur bringen, ganz so, wie es in der Saison 2015/2016 war.
Mein Taktikeckenkollege Tobias Wagner und ich sind uns seit geraumer Zeit einig, den VfL, aufgrund der vielen Zentrumsspieler, in der kommenden Saison in einem zentrumsfokussierten System wie beispielsweise einer Raute spielen sehen zu wollen. Wir sind hier natürlich nicht bei Wünsch-dir-was, aber Gertjan Verbeek hat eine Vergangenheit mit dieser Formation. In Heerenveen wandte er eine Raute mit einem breiter agierenden Mittelfeldspieler an. Durch Verbindungs- und Zugriffsprobleme bei den Manndeckungen in der Defensive, die ihn auch nach Rotterdam verfolgten, fand dann eines Tages ein Umdenken statt, sodass er seit seiner Station in Alkmaar nach dem uns bekannten Schema spielen lässt. Natürlich gab es bereits Anpassungen und Weiterentwicklungen wegen des vorhandenen Spielermaterials, diese blieben aber der asymmetrischen Grundidee mit den einseitig aufrückenden Außenverteidigern und Achtern treu. Lieber Gertjan, es ist nun Zeit für den nächsten Schritt!
Dieser nächste Schritt könnte eine Mischform aus den beiden bekannten Systemen 4-2-3-1 und 3-5-2 sein, welche die positiven Aspekte verbindet und gleichzeitig neue Positionen schafft, um sämtliche Zentrumsspieler einzubinden. Die Darstellung der Grundformation könnte letztendlich eine solche asymmetrische Raute sein, quasi „back to the roots“, nur moderner umgesetzt. Ein Vorbild dazu könnte beispielsweise Joachim Löws deutsche Nationalmannschaft beim CONFED Cup Auftakt gegen Australien sein (siehe Grafik).
Durch die Vermischung der Systeme gehen die ersten Veränderungen schon in der Verteidigung los. Während Timo Perthel oder sein voraussichtlicher Vertreter Jannik Bandowski die Funktion als Winger, der die ganze linke Seite defensiv als Linksverteidiger und offensiv als Außenstürmer, abarbeitet, beibehält, wird rechts ein altbewährtes Stilmittel wiederbelebt . Stefano Celozzi oder Jan Gyamerah fungieren als rechter Halbverteidiger, wie im 3-5-2. Selim Gündüz oder Gyamerah spielen auf der rechten Seite der Mittelfeldraute als breiter agierende Spieler, wie es Verbeek schon in Heerenveen machte. Durch ein Zurückfallen dieser Winger könnte das Team eine Fünferkette herstellen, was Gündüz bereits vom 3-5-2 her kennt. Sie können aber auch in höheren Zonen bleiben, um mehr Druck zu erzeugen. Als Reaktion darauf schiebt der rechte Halbverteidiger, wenn nötig, leicht raus und wird zum Rechtsverteidiger. Damit wäre die Abwehr flexibel, sodass sich an unterschiedliche Situationen angepasst werden kann.
Der VfL hatte schon vor Beginn Verbeeks Amtszeit eine Linkslastigkeit im eigenen Spiel, die auf den aufbaustarken Felix Bastians beruht, der auf der linken Innenverteidigerposition spielt. Diese soll er auch zukünftig beibehalten und dort noch effektiver genutzt werden. Zusammen mit Losilla als Sechser und Görkem Saglam/Alexander Merkel auf der linken Achter-Position, hätte man eine Kombination an Spielern, die den vom Trainer bevorzugten tieferen Aufbau übernehmen und auch unter Druck qualitativ umsetzen können, um danach Verlagerungen auf die andere Seite zu spielen. Diese Verlagerungen können durch einen langen Ball, allerdings auch durch mehrere Kurzpässe erfolgen, hierzu bietet die neue Formation viele verschiedene diagonale Anspielstationen bis hin zur insgesamt höher postierten rechten Seite (siehe Grafik). Dort würden sich der schon erwähnte Selim Gündüz und der Zehner (Thomas Eisfeld oder Kevin Stöger) tummeln. Gerade Thomas Eisfeld sollte in dieser Rolle noch weiter aufgehen, kann er doch seine starken Bewegungen im Zwischenlinienraum noch besser ausspielen, als ohnehin schon.
Im Mittelfeld wäre man bis auf den bisherigen Zehner, der sich nun eher im rechten Halbraum aufhält, unverändert zum 3-5-2 Ansatz. Zuletzt hatte Vitaly Janelt die Position des linken Achters inne. Hier würde ich ihn, wie auch Wydra, eher als weiteren Sechser in Konkurrenz zu Anthony Losilla in Betracht ziehen. Ich möchte Janelt und Wydra damit nicht die Fähigkeiten für diese Position absprechen, es ist vielmehr eine Feinjustierung, um nicht zu viele linear agierende Durchbruchspieler auf einer Seite zu haben. Saglam/Merkel bieten dort eine harmonischere, kombinationsstärkere Verbindung zum Personal auf rechts.
Die nächste Abänderung folgt im Sturm. Auch hier kreieren wir eine Mischform des bereits bekannten. Der zweite Stürmer wird durch einen unserer etlichen Zehner besetzt und agiert ähnlich wie im 4-2-3-1. Er soll um die höchste Person herum agieren. Nominell ist das zwar eine Stürmerposition, doch wäre der neue Zehner überall zu finden. Seine Auslegung soll sehr weiträumig und kombinativ sein. Nach einer schwachen ersten Saison stehen die beiden verunglimpften Weilandt und Stiepermann für viele unter einem schlechten Stern, doch sollte nicht vergessen werden, dass sie eigentlich gute Fußballer sind. Sie stellen quasi die Gesichter der falsch eingesetzten Spieler dar. Tom Weilandt spielte zwar auch in Fürth schon mal links als Außen, allerdings weit einrückend. Als Breitengeber an der rechten Außenlinie wird er zu sehr eingeschränkt und muss eher gegnerschlagend als in Engen ausweichend dribbeln. Marco Stiepermann hat teils katastrophale Schwächen im defensiven Umschalten. In der ehemaligen Rolle von Tim Hoogland als zentraler Gegenpressingspieler ist er völlig fehl am Platz. Ich kann mir beide jedoch sehr gut vorstellen, wenn sie durch ihre Bewegungen auf dem Feld Überzahlsituationen schaffen und kombinativ oder durch Dribblings stockende Angriffe weiterführen Damit helfen sie Verlagerungen zu realisieren oder die dünner besetzte rechte Seite nach Verlagerungen zu unterstützen Beide verfügen über gute Laufwege und Zweikampfverhalten im geordneten Pressing, die sie an vorderer Front besser einbringen können. Sollte dies nicht klappen, so stünden mit Ulrich Bapoh und dem nicht als Zehner eingesetzen Kandidaten aus Eisfeld oder Stöger hochkäratige Alternativen zur Verfügung.
Der alleinige Stürmer, sei es nun Diamantakos, Hinterseer oder Mlapa, muss mal als Wandspieler agieren und Ablagen auf nachrückende Mitspieler spielen, vorwiegend allerdings mit Tiefenläufen die gegnerische Verteidigung nach hinten drücken, um mehr Platz im Zwischenlinienraum für das kreative Potential zu schaffen. Hinterseer und Mlapa sind für diese Rolle prädestiniert, doch auch Diamantakos hat in den Testspielen gezeigt, dass er durch seine Bewegungen Räume für seine Mitspieler öffnen kann.
Weg von der personellen Besetzung und noch einmal zurück zu den Problemen der letzten Saison (ist schmerzhaft, will man eigentlich nur vergessen. Ich weiß, tut mir auch leid). Ich habe am Anfang des Textes von einem verwaisten Zentrum gesprochen und von den dadurch isolierten Angriffen über die Flügel, die den VfL berechenbar gemacht haben. Im erwünschten System gebe es zu jeder Zeit einen Weg zurück ins Zentrum, womit die noch im dunklen schlummernde Stärke, nämlich die große Ansammlung an Kreativspielern, endlich ans Tageslicht kommt. Im Umkehrschluss bedeuten gute Verbindungen zueinander auch einen guten Zugriff im Gegenpressing, woran Verbeeks früherer Versuch mit der Raute gescheitert ist. Grundvoraussetzung für gute Verbindungen sind nämlich eine gleichmäßige Raumbesetzung und nicht allzu große Abstände zwischen den einzelnen Spielern. Die hohe Dichte an Spielern im Zentrum lässt schnelle Angriffe nur über die ungefährlicheren Seiten des Spielfelds zu.
In der Rückrunde wurde durch die Umstellung und dem zusätzlichen Verteidiger eine Absicherung geschaffen, um eine größere defensive Stabilität zu erzeugen. Natürlich wäre ein Comeback des Zentrumsfokus wünschenswert, dieser glich die unschöne Manndeckung gut aus, doch die Mittel eine zusätzliche Absicherung herzustellen, wären auch hier gegeben. Eine Mischform der beiden Deckungskonzepte wäre somit ebenfalls im Bereich des Möglichen.
Es soll keine grundlegende Veränderung werden, die aktuelle Philosophie ist gut, doch nach 2 ½ Jahren ist der Kader ein anderer als zu Amtsantritt. In der Ausführung treten langsam Probleme auf. Die große Stärke soll dieses Jahr die Familiarität sein, um diese beizubehalten dürfen die Spieler nicht vor komplett neuen Aufgabenfelder gestellt werden. Ich hoffe jeder konnte die vielen Parallelen zum Bochumer Spiel und Kader erkennen. Das System erscheint, gemessen an Spielermaterial, Problemlösungen und Spielidee unseres Trainers, eine eierlegende Wollmilchsau zu sein, er muss die Gelegenheit nur ergreifen. Zum Schluss soll noch einmal erwähnt werden, dass es sich hier um EINE Möglichkeit handelt. Gertjan Verbeek kann ebenso gerne andere Anpassungen vornehmen, um die Kreativität und Spielfreude wieder zu steigern. Doch es sollte auf alle Fälle Anpassungen geben.
¹ Perturbation: Ursache der Störung
² Peak: Wert bei voll ausgeschöpften Potenzial / Höchstleistung
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