Der einsachtvieracht-Scouting-Bericht #1

Viel zu tun im Sommer für Sebastian Schindzielorz. Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)
Sebastian Schindzielorz Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Mitte April – die Saison neigt sich langsam dem Ende entgegen. Wie in fast jedem Jahr weiß man als Zweitligist nicht wirklich wie der Kader für die kommende Saison aussehen wird. Verträge haben zwar eine Laufzeit, aber klopft die finanzkräftigere Konkurrenz an, ist ein Spieler in der Regel schneller transferiert als einem lieb ist. Hinzu kommen einige auslaufende Verträge bei unserem VfL, weshalb das Team von einsachtvieracht vorsorgen und unserem Sportvorstand erneut etwas Arbeit abnehmen möchte. 

Claudio Gentile: User aus dem Transfermarkt-Forum wissen um meine Affinität für den neuseeländischen Fußball. Dort im Forum habe ich 2015 das erste Mal den Kiwi Ryan Thomas als potenziellen Neuzugang vorgeschlagen. Der heute 23-jährige zentrale Mittelfeldspieler spielt seit 2013 für PEC Zwolle in den Niederlanden und ist dort aus der ersten Elf kaum noch wegzudenken. Wurde er anfangs noch vermehrt auf der linken offensiven Außenbahn eingesetzt, spielt der Neuseeländer (17 Länderspiele / 3 Tore) in den letzten zwei Jahren fast ausschließlich auf zentraleren Positionen. War er im letzten Jahr noch häufig auf der Zehn zu finden, sieht man ihn in der aktuellen Spielzeit fast immer in der offensiveren Rolle einer Doppel-6 im klassischen 4-2-3-1. Hier kann er seine Stärken am besten ausspielen.

Ryan Thomas im Trikot seiner Heimat Neuseeland. Foto: Wiki Commons (Fyodor Smolov)

Er ist verhältnismäßig schnell, wendig und dribbelstark, für die Position auf den offensiven Außen fehlt ihm allerdings die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Er hat einen extrem feinen Fuß, ein gutes Auge für den Mitspieler und haut teilweise zentimetergenaue Diagonalbälle über den Platz. Dazu ist er in der Rückwärtsbewegung stark. Am ehesten kann man ihn sich als eine Kreuzung aus der Technik und dem Passspiel eines Kevin Stögers und der Defensivarbeit eines Onur Bulut vorstellen. Doch ist Ryan Thomas realistisch? Wohl (mittlerweile) eher weniger. Der Zug dürfte abgefahren sein. Er hat noch einen bis 2019 gültigen Vertrag und spielt in dieser Saison in einer durchschnittlichen Zwoller Mannschaft eine herausragende Rolle. Mittlerweile dürften wohl größere Vereine ihr Interesse hinterlegt haben. Aber wer weiß, vielleicht kann Sesi ja zaubern? Verstärken würde uns Ryan Thomas alle mal!

Stefan Zils: Ich würde mich um Nico Brandenburger von Fortuna Köln bemühen. Mit 23 Jahren passt er gut in die Altersstruktur als Bindeglied zwischen unerfahrenen Talenten und den erfahrenen Recken. So könnte er mit Losilla und hoffentlich Tesche um einen Platz im Team kämpfen. Brandenburger bringt eine gute Ausbildung bei Borussia Mönchengladbach mit, war dort bis zum Sommer Leistungsträger der zweiten Mannschaft, hat den direkten Sprung aus der Jugend/Regionalliga in Liga 1 nicht geschafft. Bis zur U20 war er auch in den Jugendmannschaften des DFB aktiv.

Bei der Fortuna aus Köln hat er sich sofort festgespielt und für höhere Aufgaben empfohlen. Hier sind nicht einmal die sieben Scorerpunkte entscheidend (u.a. drei Kopfballtore nach Standards), stark ist er eigentlich eher in den unspektakulären Aktionen, im Gegenpressing, Verdichten der Räume bzw. generell im Defensivverhalten. Wie die Kopfballtore schon andeuten, kann er zudem mit einem sehr guten Kopfballspiel punkten. Neben seiner klaren Hauptposition im defensiven Mittelfeld könnte er bei Personalnot auch in der Innenverteidigung oder rechts hinten aushelfen. Natürlich sollte das die klare Ausnahme bleiben, aber wir haben ja in dieser Saison wieder gesehen, wie schnell es gehen kann.

Marvin Mehlem, damals noch in den Farben des Karlsruher SC. Foto: Wikimedia Commons (Carolus requiescat)

Brandenburger wäre natürlich nicht der Spieler, der den Unterschied zwischen einem Mittelmaß-Team und einem Aufstiegskandidaten macht, insgesamt dürfte die Mannschaft mit ihm aber an Qualität gewinnen, zumal er sich in der Gehaltsstruktur nicht ganz oben befinden würde.

Jens Hartenstein: Im Sommer brechen voraussichtlich mit Görkem Saglam und Kevin Stöger zwei kreative Kräfte weg und auch die Zukunft von Thomas Eisfeld ist noch fraglich. Marvin Mehlem wäre ein Kandidat, der vor allem den Abgang von Saglam als vielversprechendes Talent auffangen könnte. Mehlem durchlief von der U15 bis zur U19 die deutschen U-Nationalmannschaften und feierte bei Karlsruhe bereits mit 17 Jahren sein Debüt bei den Profis. In dieser Saison konnte er bei Darmstadt erstmals in seiner jungen Karriere mehr Verantwortung übernehmen und war unter Frings gesetzt. Gerade zu Saisonbeginn überzeugte er dabei auf ganzer Linie. Sein Spiel zeichnet sich vor allem durch eine enge Ballführung gepaart mit einer guten Technik aus. Auch konnte er bereits zeigen, dass er jemand ist, der auch aus der Distanz jederzeit für ein Tor gut ist. Eine Fähigkeit, die uns diese Saison im Grunde fast komplett abhanden ging.

Sicherlich ist Mehlem noch lange nicht konstant genug um als 1:1-Ersatz für Stöger zu dienen, das zeigen auch seine Formschwankungen in Darmstadt und das fehlende Vertrauen des aktuellen Lilien-Trainers Dirk Schuster. Mit Anfang 20 sei das aber durchaus verziehen und langsam kommt er in das richtige Alter, um voll durchzustarten – das nötige Talent dazu bringt er unbestritten mit. Sollte Darmstadt absteigen und Mehlem ablösefrei verfügbar sein, muss man sich zwangsläufig mit ihm beschäftigen. Ähnlich wie bei Stöger, der nach dem Abstieg von Paderborn ablösefrei zu uns wechselte, könnte Mehlem ein echter Glücksgriff für die Zukunft werden.

Ein weiterer Spieler, der für das ZOM in Frage käme, wäre Sebastian Maier von Hannover 96. Viel muss man zu dem Spieler wohl kaum sagen, sollte er doch in der 2. Liga mehr als bekannt sein. Seine stärkste Phase hatte er letztlich in Pauli, als er bereits in jungen Jahren als guter Vorlagengeber und seiner Polyvalenz auf der offensiven Dreierreihe hinter einer Sturmspitze auffiel. Maier ist jetzt 24 Jahre und kommt somit in das beste Fußballalter und möchte es sicherlich allen beweisen. In Hannover kommt er hingegen kaum mehr zum Zug und dürfte alles andere als zufrieden sein mit seiner Situation. Bei einer Vertragslaufzeit bis 2019 sollte sich eine mögliche Ablöse durchaus in einem machbaren Rahmen für uns befinden.

Stefan Hierländer (hinten) beim Stretching im Trikot von Red Bull Salzburg. Foto: Wikimedia Commons (Werner100359)

Sebastian Hettmann: Im Sommer benötigen wir definitiv mehr Variationsmöglichkeiten auf den offensiven Außenbahnen und in der Innenverteidigung. Ein Blick über die Grenze gen Österreich bringt hier einen Namen hervor, der wunderbar passen könnte. Stefan Hierländer vom SK Sturm Graz konnte sich nach seinem frustrierenden Intermezzo beim Rasenballsport Leipzig freischwimmen und zeigt in Graz wieder seine Stärken am Ball. Sein Vertrag läuft im Sommer dieses Jahres aus und Hierländer darf sich seinen neuen Arbeitgeber aussuchen. In der Gerüchteküche werden bereits die beiden Vereine aus Wien als mögliche Ziele genannt. Durch ein gutes Wort von Lukas Hinterseer wäre ein Transfer doch etwas wahrscheinlicher.

Hierländer ist im Mittelfeld nicht auf eine Position fixiert und paart seine Spielfreude mit Robustheit. Dazu kommt seine gut geschulte Technik und ein ausgeprägter Zug zum Tor. Hierländer mangelt es zwar an Dynamik, jedoch könnte er in ähnlicher Rolle wie Kevin Stöger agieren. Mit Hierländer könnten und wir uns in der Offensive variabler aufstellen und hätten direkten Ersatz oder eine weitere Alternative im Kampf um die Stammplätze. Bei Sturm Graz laufen in diesem Sommer einige Verträge aus von Spieler, die uns durchaus gut tun könnten. Ein lohnenswertes Reiseziel für unsere Scoutingabteilung.

Für die Innenverteidigung führt kein Weg an Stipe Vucur vorbei. Durch den fast sicheren Abstieg vom 1. FC Kaiserlautern wird der 25 Jährige Österreicher eines der heißesten Transferziele der zweiten Liga werden. Dadurch, dass Vucur ablösefrei wechseln kann, sollten wir hier unsere Position der frühzeitigen Planungssicherheit ausnutzen, um einen Wechsel auszuloten.

Durch sein gutes Stellungsspiel, die Erfahrung bei gutem Alter und möglichem Wiederverkaufwert, bringt Vucur ein Paket mit, welches man selten ablösefrei auf dem Transfermarkt erhält. Durch den Abgang von Felix Bastians im Winter haben wir weiterhin eine große Planstelle in der Innenverteidigung, die durch Vucur geschlossen werden kann. Vucur ist beidfüßig, wodurch er absolut flexibel in der Innenverteidigung eingesetzt werden kann.

Auch die Vertragsverlängerung von Urgestein Patrick Fabian über ein Jahr passt in das Bild, da wir im kommenden Sommer vermutlich einen größeren Umbruch in der Innenverteidigung haben werden und Tom Baack oder Maxim Leitsch dann weit genug sein sollten, um die Position in der Innenverteidigung zu übernehmen. Bis dahin bringt Stipe Vucur alles mit, um neben Patrick Fabian und Tim Hoogland die Defensive zu stabilisieren.

Matthias Rauh: Im Sommer endet der Leihvertrag von Luke Hemmerich. Für mich ist Marvin Büyüksakarya vom SC Wiedenbrück aus der Regionalliga West der passende Ersatz. Büyüksakarya durchlief die Jugendmannschaften des VfB Stuttgart und war zusammen mit Joshua Kimmich der einzige VfB-Auswahlspieler im DFB-Dress bis hoch zur U19. In seinem ersten Herrenjahr in Stuttgarts Zweiter Mannschaft (damals noch dritte Liga) kam er zwar nur auf einen Einsatz (29. Spieltag beim 0:1 in Chemnitz), das lag aber daran, dass ihm die älteren Jahrgänge Mwene (jetzt Kaiserslautern) und Lang (Viktoria Köln) vorgezogen wurden.

Über den Umweg Oberliga beim SSV Reutlingen landete Büyüksakarya 2016 beim SC Wiedenbrück. Dort beackerte der gelernte Rechtsverteidiger auch aushilfweise den rechten Flügel und die linke Abwehrseite. Seine Stammposition ist allerdings der Rechtsverteidiger. Büyüksakaryas Vertrag endet im Sommer und er wird sicherlich auch bei anderen Vereinen gehandelt. Der 23-jährige ist technisch stark, flink und mit einem starken Drang nach vorne. In zwei Spielzeiten kommt der Deutsch-Türke schon auf sechs Treffer und sechs Torvorlagen. Zudem wurde er bereits zehn Mal in die Fupa-Elf der Woche gewählt, so oft wie kein anderer. Der SC Paderborn hat es mit Srbeny, Wassey und Antiwi-Adjej vorgemacht, Büyüksakarya würde den VfL auf der Rechtsverteidigerposition definitiv hinter Celozzi und Gyamerah verstärken.

Ebenfalls interessant auf der Position und mit auslaufendem Vertrag: Steffen Lang  (Viktoria Köln), Nils Winter (Alemannia Aachen) und Daniel Heber (Oberhausen, wird bei Essen gehandelt).

Claudio GentileSoweit die Zeitverschiebung es zulässt, schaue ich mir oft Spiele von Wellington Phoenix an. Der Club aus der neuseeländischen Hauptstadt spielt in A-League, der ersten australischen Liga. Von 2014 bis 2017 war dort der Niederländer Roly Bonevacia aktiv. Der zentrale Mittelfeldspieler, ausgebildet bei Ajax Amsterdam, konnte im Juni 2014 bei einem Probetraining bei unseren Nachbarn aus Duisburg nicht überzeugen und landete im Anschluss am anderen Ende der Welt in Wellington. Dort mauserte er sich zum unumstrittenen Stammspieler und konnte in 80 Spielen für Phoenix 15 Tore und 14 Vorlagen erzielen. Im Sommer 2017 wechselte er innerhalb der Liga zu Western Sydney. Grund dafür war, dass aufgrund der häufigen Erdbeben in Neuseeland seine Familie sowieso schon in Sydney wohnte und er keine räumliche Trennung mehr wollte. An die erfolgreiche Zeit in Wellington konnte er allerdings nicht anschließen. Die Saison in Sydney verlief allerdings eher unglücklich. Interne Querelen beschäftigten den Club durch die ganze Spielzeit hindurch. Sydney steht vor einem Umbruch und Gerüchten zu Folge darf der Niederländer trotz laufendem Vertrag den Verein im Sommer verlassen.

Roly Bonevacia im Trikot von Western Sydney. Foto: WikMedia Commons (Decker28)

Bonevacia ist der der klassische Box-to-Box Spieler. Eine aggressive Spielweise (18 gelbe Karten in 80 Spielen für Phoenix), eine Pferdelunge und ein ausgeprägter Drang nach vorne Zeichnen ihn aus. Er schießt starke Standards und sorgt mit seiner guten Schusstechnik oft auch für Gefahr aus der zweiten Reihe. Für Wellington hat er einige sehenswerte Tore aus großer Distanz erzielt. Darüber hinaus ist er flexibel einsetzbar. So hat er während seiner Ausbildung in Amsterdam öfters in der Innenverteidigung gespielt und in Wellington das ein oder andere Mal den Aushilfs-Außenstürmer gegeben.

Roly Bonevacia wäre auf den ersten Blick sicherlich nicht die schillernde Neuverpflichtung, die uns sofort in der Spitze verstärkt, würde aber durch seine Flexibilität und seiner bisher im Kader nicht vorhandene Spielweise der Mannschaft sicherlich sehr gut zu Gesicht stehen. Die A-League mag auch nicht bei jedem Club der zweiten Liga auf dem Zettel stehen. Am Ar*** der Welt zu scouten ist teuer. Manchmal muss man aber unkonventionelle Wege gehen, um kreative Lösungen zu finden. Bonevacia wäre in meinen Augen so eine.

Autor: Claudio Gentile

Als gebürtiger Bochumer wurde ich das erste Mal im zarten Alter von sechs Jahren ins Ruhrstadion geschleppt. Der VfL verlor. Was auch sonst. Trotzdem ließ mich der Verein nicht mehr los und spätestens als ich ein paar Tage nach meinem ersten Stadionbesuch das legendäre Papagei-Trikot mit einem "Peter Peschel"-Flock überstreifen durfte, war es um mich geschehen. Das ist jetzt 26 Jahre, wenig Siege und viele Niederlagen her. Wo die Liebe im Fußball hinfällt, kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen. Und eine Liga kennt Liebe auch nicht.

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