Knoten geplatzt oder bloßer Zufall?

Man hat es nicht für möglich gehalten: Der VfL Bochum hat sich selbst und seinen Fans mal wieder etwas Gutes getan und ein Pflichtspiel gewonnen. Doch wie ist der Erfolg über das gut platzierte Union Berlin einzuordnen. Berlin-Köpenick. Die einsachtvieracht-Redakteure Claudio Gentile, Stephan Kottkamp und Timo Janisch diskutieren.


Der 2:1-Erfolg über Union Berlin war mehr an der Schwäche des Gegners, als an der eigenen Leistung festzumachen.

Timo Janisch: Grundsätzlich ist festzustellen: Die Köpenicker haben keine Leistung gezeigt, die ihren vierten Tabellenplatz widerspiegelt. Nach dem Kaltstart zeigte unser VfL dagegen eine seine besten Saisonleistungen und vor allem viele gute Ansätze, die in den Partien zuvor komplett vermisst wurden. Dass es dennoch nur zu einem knappen Sieg reichte, lag vor allem an der immer noch mangelhaften Chancenverwertung und einigen technischen Fehlern. Die Leistung der Rasiejewski-Elf war überdurschnittlich, erschien aber nur im Vergleich zu den vorherigen Spielen wirklich gut.

Claudio Gentile: Typische Bochumer Krankheit, das so zu sehen. Wenn wir gewinnen, war in 90% der Fälle der Gegner schlecht und wir nicht mal Ansatzweise gut. 10 Euro ins Phrasenschwein: Der Gegner ist immer nur so gut, wie man ihn spielen lässt. Timo hat schon recht, dass die Leistung von Union sicherlich nicht des vierten Platzes würdig war. Trotzdem war das Auftreten unserer Mannschaft, vor allem in Halbzeit zwei klasse. In der zweiten Liga geht halt viel über den Kampf und da sich unsere Elf einfach reingebissen.

Stephan Kottkamp: Die Wahrheit liegt hier wohl mal wieder in der Mitte. Es war kein Zufall, dass wir Union geschlagen haben; zugleich erscheint es unwahrscheinlich, dass nun der Knoten  geplatzt ist. Ja, Union war nicht so stark wie erwartet; aber der VfL zeigte gleichzeitig – zumindest in Durchgang 2 – eine der besseren Leistungen in dieser Saison. Über den Kampf fand die Mannschaft ins Spiel und deutete phasenweise ihr großes Potenzial an.

Überhaupt hat der VfL in dieser enttäuschenden Hinrunde mehr als ein Mal eine gute Leistung gezeigt, hat es aber immer wieder versäumt, sich dafür zu belohnen. Gegen den damals enteilten Tabellenführer Düsseldorf hätte es mit ein wenig Glück den Dreier geben können und auch in Kiel war der VfL bis zu Riemanns Aussetzer die klar bessere Mannschaft. Auch die einzige Niederlage unter Rasiewski (0:1 in Braunschweig) gehört in die Kategorie unnötig.

 

Der bei Union nach der Begegnung entlassene Trainer Jens Keller würde gut zum VfL Bochum passen.

Claudio Gentile: Mag sein, dass das so ist. Aber mal Hand aufs Herz, der Mann ist unrealistisch. Im Sommer gab es laut seinem Berater konkrete Angebote aus der Bundesliga. Ich denke, dort wird Keller auch zeitnah einen neuen Club finden.

Timo Janisch: Da gebe ich Claudio recht. Der Trainermarkt für Zweitligisten ist derzeit schwach besetzt, einige Erstligisten dürften Keller auf dem Zettel haben. Aber man weiß ja nie, es gibt unzählige Gründe, warum ein erneutes Engagement in der zweiten Liga attraktiv werden könnte. Sollte er keinen Erstliga-Deal bekommen, könnte ich ihn mir in Bochum vorstellen. Das 4-2-3-1, das er zuletzt bei Union spielen ließ, könnte dem VfL gut zu Gesicht stehen.

Stephan Kottkamp: Nachdem es laut einiger „Insider“ schon ausgemachte Sache war, dass Michael Frontzeck in der Winterpause als neuer VfL-Trainer präsentiert werden würde, wabern nun die Namen Peter Stöger und Jens Keller durch die Gerüchteküche. Beide frisch geschassten Coaches halte ich für unrealistisch. Weder Stöger noch Keller gehören in die Kategorie, in der der VfL in der aktuellen Situation einen neuen Trainer suchen muss. Beide werden – vielleicht sogar recht zeitnah – bei namhaften Klubs mit ganz anderen finanziellen Mitteln als der VfL sie hat, unterkommen.

Netter Sieg, aber Rasiejewksi muss in der Winterpause trotzdem auf jeden Fall ersetzt werden.

Claudio Gentile: Abwarten. Ja, wir haben in den letzten Wochen fußballerisch ziemliche Magerkost geboten. Blickt man allerdings auf die nackte Bilanz, liest sich die durchaus passabel. Sieben Ligaspiele gab es unter Jens Rasiejewksi bisher. 2 Siege, 4 Unentschieden und eine Niederlage haben wir gesehen. Einen sehr faden Beigeschmack hinterlässt sicherlich noch die Niederlage im Pokal.

Festhalten muss man allerdings auch, dass die Defensive sich stark stabilisiert hat seit der ehemalige U19-Coach die Profis betreut. Und wir haben durchaus gute Spiele gesehen. Braunschweig und Düsseldorf waren trotz der Niederlage bzw. des Unentschiedens gute bis sehr gute Spiele. 

Will man Rasiejewksi durch einen externen Trainer ersetzen, muss man sich immer vor Augen halten, dass ein frischer Mann nicht zwangsläufig Erfolg garantiert. Und die Alternativen auf dem Markt sind aktuell eher mau – zumindest an Trainern, bei denen ich sofort ein gutes Gefühl hätte. Keller wurde in den letzten Tagen, wie oben erwähnt,  seit seiner Entlassung immer wieder als Wunsch formuliert. Der wird in Liga 1 unterkommen. Ganz genauso ein Stöger. Im Kopf vieler sind wir halt immer noch ein großer Name im deutschen Fußball – aber wir sind im 7. Jahr zweite Liga. Dem muss man sich bewusst machen, auch bei der Formulierung von Trainer-Wünschen.

Sollte Rasiejewski in den letzten beiden Spielen des Kalenderjahres mit 4 oder 6 Punkten rausgehen, hat er auf jeden Fall gute Argumente für eine Weiterbeschäftigung vorzuweisen. Klappt das nicht, wird die Argumentationsgrundlage schon wieder arg dünn. Einfach wird es auf jeden Fall nicht. Regensburg ist aktuell das formstärkste Team der zweiten Liga. Ich bin gespannt.

Timo Janisch: Das ,,auf jeden Fall“ knüpfe ich an die letzten verbleibenden Spiele im Kaldenderjahr 2017. Das Spiel gegen Berlin hat meine Meinung zu unserem Interimstrainer etwas in Frage gestellt. Die Mannschaft scheint mit einigen schwierigen Typen bestückt, wenn man den zahlreichen Gerüchten zumindest teilweise glauben darf. Ob der auf Profiniveau unerfahrene Rasiejewski dafür der richtige Mann ist? Fraglich.

Unabhängig von den Ergebnissen wird die spielerische Entwicklung entscheidend sein. Fakt ist: Die Defensive hat sich unter Rasiejewski stabilisiert, die Offensive ist alles, nur nicht offensiv – die letzte Partie ausgenommen. Verfällt man gegen Regensburg und St. Pauli wieder in alte, schaurige Muster, ist eine Trennung unausweichlich.

Alleine um zu demonstrieren, dass man nicht an ein „Weiter so“ glaubt, um einen Neustart zu wagen, müsste ein neuer Cheftrainer verpflichtet werden. Der Markt gibt allerdings nicht viele Kandidaten her, die nicht mit einem beachtlichen Risiko behaftet sind. Kann Rasiejewski das Niveau aus dem Union-Spiel – und den soliden ersten Partien unter seiner Leitung – konservieren und dieses durch Befreiung der Köpfe der Spieler (hier scheint das Hauptproblem zu liegen) steigern, spricht nicht mehr viel gegen eine Weiterbeschäftigung.

Stephan Kottkamp: Ich halte es für schwierig, als Externer zu beurteilen, ob ein Trainer einen guten Job macht. Schauen wir deshalb erst mal auf die Fakten. Unter Jens Rasiewski absolvierte der VfL sieben Ligaspiele und holte dabei zehn Punkte. Lediglich das Spiel in Braunschweig ging (unnötigerweise) verloren. Seit fünf Spielen ist der VfL ungeschlagen und konnte sich in der Abwehr etwas stabilisieren – vier Gegentore in sieben Spielen sind für den VfL ein recht guter Wert.

Auf den ersten Blick sieht die Bilanz also gar nicht so schlecht aus. Doch schaut man genauer hin, kommen einem schnell die Spiele in Kaiserslautern, in Aue oder auch gegen Fürth in Erinnerung. Allesamt Begegnungen, in denen die Mannschaft Leistungs-Limbo präsentierte und damit jeden VfL-Fan frustrierte. Hinzu kam auch noch das erbärmliche Pokalspiel in Paderborn, für das man sich eigentlich in aller Form entschuldigen müsste.

Fazit: Der Mannschaft fehlt die Konstanz und sie kann mit Rückschlägen nur schwer umgehen. Jens Rasiewski hat es nicht geschafft, eine Stammformation zu finden und eine Einheit auf dem Platz zu formen. Ihm bleiben nun noch zwei Spiele, um zumindest einen halbwegs versöhnlichen Abschluss zu schaffen.

Sollte ihm das gelingen, halte ich es für wahrscheinlich, dass er über den Jahreswchsel hinaus VfL-Trainer bleibt. Dies ist dann aber auch dem aktuell leergefegten Trainermarkt geschuldet. Die Situation erinnert leider sehr stark an die Ära Karsten Neitzel im Winter 2012/13. Dass Rasiejewski im April von Peter Neururer abgelöst werden wird, ist aber ganz sicher auszuschließen.

Autor: Timo Janisch

Als Sportjournalist- und Fotograf neben dem Studium vor allem für die Ruhr Nachrichten im Einsatz. Interessiert an jedwedem Detail, was den Fußball prägt - von inversen Außenverteidigern bis hin zu emotionalen Diskussionen, warum Fiege das beste Pils des Planeten ist.

Dauerkarte, Block O.

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