Ist die Ausgliederung für die Mission Aufstieg ein finanzielles „Muss“? – Die Ausgliederung aus ökonomischer Sicht

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)
Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Am kommenden Samstag ist es endlich soweit, die Mitglieder des VfL Bochums stimmen über eine mögliche Ausgliederung der Profiabteilung ab. Viel wurde diskutiert über Pro und Contra einer Ausgliederung. Hitzig aber respektvoll wurde in den Diskussionsrunden miteinander umgegangen, wohlwissend, dass viel von der kommenden Wahl abhängt. Bevor es jetzt endgültig darum geht, über die Zukunft des Vereins zu entscheiden, wollen wir noch einmal auf die ökonomischen Folgen einer Ausgliederung eingehen. Befürworter der Ausgliederung stellen den Weg gerne als alternativlos dar. Ich frage mich, ist das wirklich so? Ist die Ausgliederung auf lange Sicht ein finanzielles „Muss“ und welche Auswirkungen kann man durch eine Ausgliederung für den Verein erwarten?

Für eine realistische Einschätzung der ökonomischen Folgen einer Ausgliederung, muss zunächst aber die aktuelle Situation im Verein aufgezeigt werden. Welche Rahmenbedingungen herrschen derzeit vor? Was ist realistisch mit den gegebenen Möglichkeiten erreichbar?

Hierbei zeigt sich in nahezu allen Belangen, dass der VfL seit Jahren nicht mehr als ein durchschnittlicher Zweitligist ist. Dies lässt sich besonders gut verdeutlichen, nimmt man entscheidende Zahlen aus der abgelaufenen Saison zur Grundlage. So lag man bei den Mitgliederzahlen (ca. 9.000 – Platz 11), den Zuschauerzahlen (ca. 17.000 – Platz 12) sowie dem Spieleretat (9,6 Mio – Platz 11) im ligaweiten Vergleich jeweils unterhalb der Durchschnittswerte. Diese Werte spielen für den Verein allerdings alles andere als eine untergeordnete Rolle, im Gegenteil, sie sagen entscheidendes über das Leistungsvermögen der Mannschaft, aber auch über das Potential des Vereins in der Zukunft aus. Beispielsweise konnte Wilken Engelbracht während den Informationsveranstaltung sehr gut die Korrelation zwischen Spieleretat und Aufstiegschancen aufzeigen. Ein hoher Spieleretat erhöht dabei signifikant die Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs beziehungsweise verringert das Risiko eines Abstiegs. Gleichzeitig zeigen Kernzahlen wie Mitgliederanzahl und Zuschauerzuspruch, inwieweit Steigerungspotential bei möglichen Einnahmequellen wie Sponsorenverträge, Ticketeinnahmen oder aber Fanartikel vorhanden ist. Während die Faktenlage also eher Mittelmaß bescheinigt, sind die Erwartungen an den Leistungen ungleich höher. Spieler, Verantwortliche wie auch Fans wollen wieder in die 1. Bundesliga und das am liebsten heute statt morgen. Es besteht derzeit also durchaus eine gehörige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Will man also die Erwartungshaltung auf lange Sicht nicht deutlich nach unten schrauben, muss diese Lücke zu finanzkräftigeren Vereinen mit einer breiteren Fanbasis anderweitig kompensieren – denn Tradition allein schießt keine Tore.

Mit solider Arbeit in Liga 1?

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Ein Weg diese Lücke zumindest teilweise schließen zu können ist eine nachhaltig gute Arbeit im Verein. Kluge Transfers, eine ausgezeichnete Jugendarbeit und ein starker Trainer kann einen Verein wirtschaftlich wie sportlich deutlich stärken. In den letzten Jahren zeigten Engelbracht und Hochstätter, dass es trotz unterdurchschnittlichen Einnahmequellen und Spieleretat möglich war, Schulden zu reduzieren und gleichzeitig überdurchschnittliche Platzierungen zu erreichen. Man stärkte nachhaltig den Spielerkader und brachte sich somit endlich wieder in die Lage von Größerem zu träumen. Doch nichtdestotrotz gibt es unbestreitbare Limitierungen. Verträge von talentierten Spielern, welche darüber hinaus noch Leistungsträger sind, können in aller Regel nicht mehr verlängert werden. Bei Neuzugängen muss man sich mit der Resterampe begnügen und sportlich kann man, selbst nach einer für die eigenen Verhältnisse unbestreitbar guten Transferperiode und einer bislang kaum dagewesenen Lücke an Spitzenteams in der 2. Bundesliga, nicht mehr als eine Außenseiterrolle einnehmen.

Sollte ein Aufstieg in dieser Saison nicht klappen, wird sich die eigene Rolle in der Liga wohl künftig auch nicht mehr verbessern – denn auch andere Vereine schlafen nicht, auch andere Vereine haben gut geschulte Manager, die wissen wie ihr Job funktioniert. Zudem wird die Schere zwischen Arm und Reich größer, das zeigt ein Blick auf die Bilanzen der Vereine und lässt sich sinnbildlich an dem neuen TV Vertrag verdeutlichen. Geht man beispielhaft von den aktuellen Tabellenständen für die Bewertung der Fernsehgelder 2018/19 aus, würde ein Absteiger wie Werder Bremen 23,5 Millionen Euro Fernsehgelder erhalten, Ingolstadt aufgrund der vergangenen Jahre in der 1. Bundesliga immerhin noch 16,7 Millionen und der VfL wäre mit gerade einmal 10,2 Millionen finanziell weit abgeschlagen (Quelle Fernsehgelder.de, Stand 03.10.2017). Auf Dauer kann kein Manager der Welt diese größer werdende Lücke ohne eine deutliche Erhöhung der eigenen Einnahmen schließen. Das Potential des Vereins scheint ausgeschöpft und ohne einen baldigen Aufstieg kann man kaum erwarten, dass die Verantwortlichen Jahr für Jahr das steigende Defizit an Geld mit klugen Transfers abfangen können.

Im Fußball bedeutet Stagnation Rückschritt – im Fußball bedeutet Stagnation überholt zu werden! Immer mehr potente Sponsoren drängen auf den umworbenen Fußballmarkt und immer mehr Vereine gehen neue Wege, um an neue Gelder zu gelangen. Vereine wie Hoffenheim, Leipzig oder Augsburg scheinen uneinholbar an uns vorbeigezogen zu sein. Sollte man selbst nicht neue Wege gehen, werden sie definitiv auch nicht die Letzten gewesen sein.

Mit den Geldern einer Ausgliederung in Liga 1?

Eine Möglichkeit für einen neuen Weg wurde uns von Engelbracht aufgezeigt und steht nun am Samstag zur Wahl. Mit einer Ausgliederung könnte man geschätzt für 20 % der Anteile rund 20 Millionen Euro erhalten. Auf fünf Jahre gesehen, hätte man den jährlichen finanziellen Spielraum somit um 4 Millionen Euro erhöht. 4 Millionen, die den Verein von heute auf morgen finanziell in das obere Drittel der Liga befördern und somit die Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs drastisch erhöhen würden.

Dabei sollte man sich von dem (naiven) Gedanken lösen, dass mit diesen Geldern einzig mehr geldgeile Spieler gelockt werden. Es mag bizarr klingen, aber mehr Geld lockt durchaus auch mehr ambitionierte Spieler, unabhängig von den monetären Gegebenheiten. Mit den gesteigerten sportlichen Ambitionen kann man qualitativ stärkere Spieler und Trainer für den Verein und für die Idee des Aufstiegs gewinnen. Auch kann mehr Geld neben dem Kernbereich, der Kaderstruktur des Profiteams, in strukturellen Beschaffenheiten rund um den Verein oder aber der Jugendarbeit investiert werden. Die Möglichkeiten sind vielschichtig.

Unbestreitbar bleibt aber, dass das Spieler- und Trainerteam der Profimannschaft den Eckpfeiler für den sportlichen Erfolg bilden. Vorbei wären die Zeiten, in denen man neidisch auf Transfers von Spielern wie Felix Kroos, Akaki Gogia oder aber Christoffer Nyman schaut, ohne selbst wirtschaftlich die Möglichkeit zu haben, das Transfer- und Gehaltsvolumen solcher Spieler zu stemmen. Noch wichtiger erachte ich persönlich, dass man durch gesteigerte Ambitionen und besseren Bezügen, die Abgänge von elementar wichtigen Leistungsträgern und Lieblingen der Fans zumindest teilweise verhindern könnte. Was wäre möglich, wenn Terodde nicht aufgrund von besserer Bezahlung und höheren Ambitionen zum Ligarivalen VfB Stuttgart abgewandert wäre, sondern bei uns verlängert hätte? Was wäre, wenn junge Spieler wie Bulut oder einst Rzatkowski länger dem Verein treu geblieben wären? Gleiches gilt natürlich auch für große Talente. Bisweilen kann der VfL bei Talenten nur über emotionaler Bindung, kaum aber über Ambitionen oder Finanzen mit größeren Vereinen konkurrieren. Ist die Wahrscheinlichkeit mit größeren Ambitionen und besserer Vergütung nicht künftig auch größer, talentierte Spieler aus der eigenen Jugend bestenfalls langfristig zu binden?

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Man muss aber überhaupt nicht in die Vergangenheit oder in die Zukunft schauen, um unsere derzeitige Problematik greifen zu können. Nehmen wir allein unser kreatives Mittelfeld. Mit Stöger, Eisfeld und Saglam haben wir für diese Position ein exzellentes Spielermaterial. Die Fans identifizieren sich mit den Spielern und die Spieler identifizieren sich mit dem Verein, doch bei allen Spielern läuft der Vertrag aus. Trotz emotionalen Bindungen ist bei diesen Spielern äußerst fraglich, ob bei lukrativeren Angeboten von ambitionierten Vereinen, die Verträge beim VfL verlängert werden können. Was ein ablösefreier Verlust dieser Spieler für den Verein bedeuten würde, muss denke ich nicht näher ausgeführt werden.

Gibt es finanzielle Risiken durch die Ausgliederung?

Viele Kritiker der Ausgliederung haben dennoch Sorgen, denn was geschieht mit dem VfL nach den fünf Jahren falls man nicht aufsteigt? Zu allererst muss man sich vor Auge führen, dass das Geld durch die Bindung von qualitativ hochwertigeren Spielern nicht verloren, sondern investiert wird. Durch diese Investitionen steigert man den intrinsischen Wert des Vereins, analog wie es ein Wirtschaftsunternehmen mit moderneren Maschinen macht. Idealer Weise verliert man dieses Geld nicht, sondern kann durch Transfererlöse das, durch die Ausgliederung erlangte, Kapital maximieren. Dieses neu geschaffene Eigenkapital bleibt auch nach Ablauf des Fünfjahresplans erhalten. Die Rückführung des Spieleretats stellt ebenfalls kein gesondertes Risiko dar, wie es Engelbracht in unserem Exklusivinterview näher erläutert hat. Die Situation unterscheidet sich im Grunde nicht derer, welche bei größeren Transfereinnahmen eintritt. Die Rückführung der Ausgaben auf das vorherige Niveau ist für Fußballmanager Alltagsgeschäft und vor allem vorab planbar. Als beispielsweise für Terodde Millionenerträge erzielt wurden, hat schließlich auch niemand aufbegehrt, dass hohe Einnahmen ein größeres Risiko bedeuten. Rational ist das überhaupt nicht greifbar, in Bezug auf die Ausgliederung ist diese Befürchtung nur emotional begründbar.

Es ist ohnehin nicht so, dass man nach diesen fünf Jahren allen Puffer aufgebraucht hat. 80 % der Vereinsanteile bleiben vorerst unangerührt. Durch eine Ausgliederung würde man sich für zukünftige Ernstfälle neue Handlungsflexibilität/Handlungsspielraum schaffen. Ein Spielraum, der sämtliche Horrorszenarien für die nahe Zukunft nahezu unmöglich macht. Die Ausgliederung verschafft somit keine neue finanzielle Risiken, sondern vielmehr Möglichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs wird erhöht und die Gefahr durch individuelle Fehler der Verantwortlichen in Liga 3 abzusteigen oder in finanzielle Nöte zu geraten wird durch eine Erhöhung des Kapitals deutlich reduziert. Was bleibt ist die eingangs gestellte Frage – ist die Ausgliederung für die Mission Wiederaufstieg ein „Muss“ und somit alternativlos?

Die Ausgliederung – kein „Muss“ aber eine Chance!

Nein ein „Muss“ ist es aus finanzieller Sicht definitiv nicht, das zeigen andere Vereine die nicht ausgegliedert haben und das konnten auch Hochstätter und Engelbracht in den letzten Jahren beweisen. Auch ohne Ausgliederung wird die Welt für den VfL am Sonntag nicht untergehen. Die Vorzeichen sind dennoch klar: Durch die Generierung von neuen Geldern würde die große Chance zu den Top Vereinen in der 2. Bundesliga aufzuschließen bestehen. Die Wahrscheinlichkeit mittel- bis langfristig wieder in der 1. Bundesliga zu spielen ist deutlich erhöht und gleichzeitig ist die Gefahr eines weiteren Abstiegs im deutschlandweiten Vergleich vorerst minimiert.

Die Alternative lautet die Erwartungen zu reduzieren, insbesondere sollte es nicht gelingen diese Saison aufzusteigen. Sieht man die 2. Bundesliga als Erfolg, ähnlich wie es beispielsweise in Sandhausen gehandhabt wird, können wir auch ohne neue Gelder voller Zuversicht in die kommenden Jahre gehen – auch wenn selbstverständlich das Risiko eines Intermezzos in Liga 3 ungleich höher ist.

Für was man letzten Endes am Samstag abstimmt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Neben den ökonomischen Folgen, gibt es noch andere Auswirkungen, welche für eine Entscheidungsfindung wichtig sein könnten. Fakt ist, die Wahl am Samstag ist immens wichtig für den Verein und bedarf einer wohlüberlegten Entscheidung. So muss der Appell an die Mitglieder des VfL lauten, sich ausgiebig mit allen Konsequenzen einer Ausgliederung zu beschäftigen. Es gibt bei dieser Wahl kein „Richtig“ oder „Falsch“. Bei dieser grundlegenden Wahl über die Zukunft des Vereins haben alle fundierten Meinungen die gleiche Daseinsberechtigung. Unabhängig zu der Entscheidung am Samstag soll noch gesagt sein: Tradition kann man nicht kaufen oder verkaufen, Tradition bleibt erhalten! Der VfL besteht weiterhin seit 1848 und eine mögliche Ausgliederung am Samstag wäre nicht die erste schwerwiegende strukturelle Änderung seit der Gründung des Vereins.

Foto: Tim Kramer (Tremark Fotografie)

Autor: Jens Hartenstein

In Bayern geboren, führte mein Weg zum Fußball über den FC Bayern München erst über Umwege zum geliebten VfL. Hierbei hat mich insbesondere die Phase Mitte der 90 geprägt, als man unter anderm in den UEFA Cup einzog. Nach einer jugendlichen Trotzphase, in der ich mich fast gänzlich dem Fußball, aber vor allem der Kommerzialisierung von selbigem abgewandt hatte, fand ich dann Anfang des neuen Jahrtausends wieder zurück zum Fußball. Ein echter Fußballfan kann eben doch nicht ohne seine Leidenschaft. Spätestens als ich dann beim Abschiedsspiel von Darius Wosz dessen letztes Bundesligator, den Abstieg Gladbachs und unseren beinahe Einzug in den UI-Cup live im Gladbacher Stadion feiern durfte, wars um mich dann komplett geschehen. Seitdem sind mäßige Spiele, Niederlagen, Abstiege und sämtliches Leid aller VfL Fans mein ständiger Wegbegleiter.

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